I. Teil

 

Kapitel 1

Das Geheimnis der drei Päpste

Papst Johannes XXIII. hat einen wunderschönen Gedanken formuliert, als er das Zweite Vatikanische Konzil eröffnet hat. Er sagte: Das große Problem, das heute in der Welt besteht, ist seit fast 2000 Jahren unverändert. Entweder man lebt mit Christus und empfängt das Licht oder man lebt ohne Christus und die Kirche und es entsteht Konfusion und Chaos. Dieser Gedanke war der Grundgedanke des Zweiten Vatikanischen Konzils und man konnte sich davon sehr viel erhoffen.

Man hat aber sehr bald gemerkt, dass manch einer Zwietracht und ungute Gedanken in dieses Konzil hineininterpretiert hatte. In diesem Sinne hat auch Papst Paul VI. in der 1964 erschienen Schrift Nota explicativa praevia versucht, die unabdingbaren Interpretationen festzuschreiben, in welchen bestimmte Kapitel des Zweiten Vatikanischen Konzils interpretiert werden sollten, und was dann Henri de Lubac das Para-Konzil genannt hat mit seinem Begriff vom Geist des Konzils, wurde fortgesetzt und ist sehr gefährlich geworden. Und so hat auch eine sehr alarmierende Hand und auch sehr bewusste Person am 24. April 1965 eine Schrift verfasst mit dem Titel Annotatio, in welcher man bereits in der Finalphase des Konzils dieses kritisiert und behandelt.

Es ist bis heute nicht klar, wer genau diese Schrift verfasst hat. Es kann aber vieles darauf hindeuten, dass es Papst Paul VI. selbst gewesen ist. Darin schreibt der Verfasser: „Es gibt Personen, die offensichtlich die verlorenen Söhne, nämlich Protestanten, für wichtiger erachten als die katholische Kirche selbst. Die Autorität, die noch in den Konzilen von Trient und dem Ersten Vatikanum enthalten ist, ist mit diesem Zweiten Vatikanum zurückgedrängt worden zugunsten eines progessistischen Weltbildes und auch zugunsten friedfertiger und laizistischer Tendenzen. Die Meinung vieler Gelehrter deckt sich mit jener der Bischöfe selbst, die im katholischen Glauben die Fortsetzung der ordinären Doktrin sehen. Wenn das so ist, dann öffnet das Zweite Vatikanum eine Zeit der spirituellen Konfusion. Anstatt auf diesem Konzil geeint und gemeinsam auszutreten, ist man aus diesem Konzil verwirrt herausgekommen, indem man einen Dialog mit der ganzen modernen Welt gesucht hat.“

Bereits sieben Monate nach dem Konzil hat der Heilige Stuhl ein alarmistisches Dokument verfasst, in welchem er all jene Meinungen zurückdrängt, die sich auf einen sogenannten Geist des Konzils berufen und irgendwelche Meinungen vertreten, die eigentlich alles andere sind als im Sinne des katholischen Glaubens.

Dreieinhalb Jahre später, im Dezember des Jahres 1968, hat hingegen Papst Paul VI. dramatische Worte gefunden und damit auch viele Vorhersagen bestätigt, die bereits vorher über dieses Vatikanum kursiert sind. Darin schreibt der Papst, ich zitiere: „Die Kirche befindet sich in einer Zeit der Selbstzerstörung. Es ist ein Ereignis, was keiner erwartet hat nach diesem Konzil. Und die Kirche beschuldigt und bekämpft sich selbst.“

Vier Jahre später, im Jahr 1972, schreibt Papst Paul VI. hingegen, ich zitiere: „Man hat gedacht, dass das Konzil einen Tag der Sonne für die Kirche bedeutet hätte. Stattdessen bedeutete dieses Konzil Wolken, Gewitter, Dunkel, Suche und Unsicherheit.“ Der Papst schreibt dann weiter: „Man muss behaupten, dass in den Tempel Gottes der Rauch des Satans eingedrungen ist.“

Die Krise der Kirche ist inzwischen in ihrer kompletten Tragik explodiert. Und die Kirche schien wie eine Prärie, wo die verschiedenen Ideologien, vor allem die marxistische, eine Razzia betrieben haben. Und das war auch die Phase, wo eine der größten Zerfallserscheinungen der Kirche sich dargestellt hat.

So schreibt 2002 Franzisco Péres de Antón, dass vom Jahre 1965 an ca. 100.000 Priester die Kirche verlassen haben, während es 60.000 Klosterfrauen zwischen 1966 und 1983 und 47.600 zwischen 1983 und 1988 gewesen sind. Das war ein Desaster, dessen Dimensionen unkalkulierbar waren, das aber vorhergesagt wurde.

Die Situation war inzwischen so gravierend, dass Papst Paul VI. im Jahr 1976, inzwischen alt, isoliert, mit seinem Freund Jean Guitton zu folgenden apokalyptischen Fragen gekommen ist:

„Ich stelle mir die Frage,“ schreibt er, „ob die Zeit gekommen ist, wo Jesus ihm Evangelium von Lukas sagt, wenn der Sohn Gottes zurückkommt, wird ER dann noch Glauben auf der Erde finden? Heute erscheinen Bücher, in welchen der Glaube als etwas dargestellt wird, das sich zurückzieht. Sind wir bereits am Ende angelangt? Das weiß man nicht, aber es kann alles sein und muss auch vorbereitet sein. Was mich beunruhigt, dass innerhalb der Kirche, innerhalb der katholischen Kirche sich ein nichtkatholischer Gedanke ausbreitet, der sicherlich nie der Gedanke der Kirche sein kann.“

Wohin hätte die kleine Herde schauen können? Heute, im Nachhinein, können wir sagen, dass in der Nacht der Kirche zwei Riesen geschenkt wurden: Carol Wojtyla und Josef Ratzinger, zwei Männer, die Gott sehr gern gehabt hat, die eine Verbindung hatten wirklicher Freundschaft, wirklicher christlicher Freundschaft. Dies hat Johannes Paul II. auch in seinem letzten Buch so festgehalten, wo er Ratzinger als seinen großen Freund bezeichnet hat. Beide waren sehr jung, als sie am Konzil teilgenommen haben, und beide sind Söhne des Konzils. Ratzinger, dieser große Gelehrte und Wissende, der später auch die Inquisition besetzt hat als sein Amt und dieses ausgefüllt hat und der als junger deutscher Theologe einen wesentlichen Beitrag für die Kirche geleistet hat. Wojtyla hat hingegen ins Konzil seine Menschlichkeit hineingetragen und da auch die Stille und das Leiden der Völker in Osteuropa. Nach dem Konzil wurde Wojtyla von Paul VI. in der Schrift Humanae Vitae unterstützt und der junge Bischof in Krakau wurde ein wichtiger Kämpfer für die Freiheit. Ratzinger wurde hingegen der Erzfeind aller, die das Zweite Vatikanum verwendet haben, um eine Ideologie zu etablieren, die gegen jene der Kirche gerichtet ist.

Die Kirche hat Wege eingeschlagen, die Ideologien sind und die bereits so weit vom kirchlichen Gedanken weg sind, dass sie sogar das Primat von Petrus in Frage stellen. Paul VI. hat vielleicht gerade deshalb beide besonders unterstützt, indem er Ratzinger die Diözese von München anvertraut hat und indem er Wojtyla nach Rom beordert hat, um ihm wahrscheinlich gewisse Anordnungen zu geben.

Und da ist Papst Johannes Paul II. Als er 1978 zum Papst gewählt wurde, hat er bereits sofort das Drama angesprochen, das im Gange war. Er sagt: „Man muss festhalten, dass die Christen heute zum großen Teil konfus, verloren und hoffnungslos sind, dass sie dem Relativismus ausgesetzt sind, dem Agnostizismus, dem Illuminismus moralischer Art und einem soziologischen Christentum ohne Dogmen und ohne klare Moral.“

Wohl aus diesem Grund hat Johannes Paul II. sofort Kardinal Ratzinger in den Vatikan beordnet, um ihm diese Aufgabe anzuvertrauen, um theologisch auf die Fragen der Zeit zu antworten. Als junge Protagonisten des Zweiten Vatikanums mussten sie beide gegen das sogenannte Post-Konzil ankämpfen, welches die wahren Ideale des Zweiten Vatikanischen Konzils verraten und missbraucht hat. Wojtyla hat die Aufgabe des charismatischen Geistlichen angenommen, und der Kardinal Ratzinger hat hingegen als Präfekt der Glaubenskongregation sofort schon das Freimaurertum sowie die Befreiungstheologie angegriffen.

Ratzinger hat kürzlich daran erinnert: „Die große Herausforderung war, gemeinsam mit Johannes Paul II. der Befreiungstheologie entgegenzutreten, wie sie in Südamerika aufgetreten ist. Diese hat zwar das Christentum als Motor verwendet, war aber eigentlich überhaupt nicht christlich geprägt.“

Einer der Gründer dieser Befreiungstheologie, Clodoveo Boff, hat hingegen dreißig Jahre später Ratzinger Recht gegeben. Dieser schreibt: „Ich habe selbst bemerkt, wie im Laufe dieser Befreiungstheologie das Christentum in den Hintergrund gedrängt wurde und im Vordergrund eigentlich der Marxismus gestanden hat.“ Ratzinger und Wojtyla haben derzeit sehr, sehr viele Feinde gehabt.

Don Divo Barsotti hat mir in seinem Interview 1985 folgende Worte nahegelegt: „Es besteht die große Gefahr einer Spaltung der Kirche. Denn innerhalb der Kirche gibt es immer mehr Bischöfe, die Feinde des Papstes sind und die ihm Widerstand leisten wollen.“

Das alles war 1985. Aber das Werk von Papst Johannes Paul II. ging weiter. Dieser hat vor allem eine Begeisterung aufbauen können, die Jugend ansprechen können und besonders in Osteuropa mit dem Fall des Kommunismus, den christlichen Glauben neu Fuß fassen lassen können. Das Jahr 2000 hat eine Widergeburt des Glaubens bedeutet und vor allem aller Welt verdeutlicht, welche Kraft die Kirche noch nach dem Konzil aufbauen hat können.

Auf jeden Fall hat die Entchristianisierung kein Ende gefunden, im Gegenteil. Das theologische Etablissement hat immer weiter die modernistischen und progressistischen Meinungen vertreten und dabei auch wichtige Posten besetzt. In den letzten Tagen, in denen Johannes Paul II. gelebt hat, hat er die Angst verspürt, dass nach seinem Tod das Schiff Petri in immer gefährlichere Wasser hineingleiten könnte.

Ein anderer Großer, nämlich Don Luigi Giussani hat in einem Interview 2002 ähnliche Worte gefunden, nämlich: „Der Papst ist bewegend in seiner Art und Weise, wie er sich darstellt, ob in Toronto, in Mexiko oder in Madonna di Guadalupe. Aber wer hört ihm zu? Niemand! Nicht einmal Bischöfe und Priester! Man müsste bewegt sein von diesem Papst. Man müsste gehorchen und sich animieren lassen. Und so kann der Teufel sich freuen, dass auch gewisse Geistliche an seinen Bewegungen teilhaben.“

In einer anderen Stellungnahme hat Giussani behauptet: „Die Kirche hat begonnen, die Humanität zu verlassen, und sie hat vergessen, wer Christus war und wie er wirkte.“

So haben drei Große der Kirche und drei große Männer Gottes, Wojtyla, Giussani und Ratzinger gegen Ende 2004 hin und Beginn 2005 behauptet, dass die Kirche in einer dramatischen Lage sei. Aus diesem Grund hat Wojtyla auch versucht, eine Synode einzuberufen, in welcher er die falsch interpretierten Punkte des Vatikanums neu festhalten wollte. Wojtyla wusste aber, dass er keine Zeit und keine Energie mehr hat und dass nur Josef Ratzinger dies hätte umsetzen können.

Und in diesem Rahmen hat sich auch eine Situation eingestellt, die Marco Di Milano dargestellt hat: Man muss sich vergegenwärtigen, dass Wojtyla am 2. April 2005 verstorben ist. Auf jeden Fall schreibt Di Milano Folgendes: „Am 8. Januar 2005 ist Josef Ratzinger als Nachfolger von Johannes Paul II. designiert worden. Es war der alte Papst selbst, der ihn zu einem Essen eingeladen hat, wo er auch Vertreter geladen hat, die innerhalb der Konklave wichtige Stellungen einnehmen. Der Spanier Herranz, ein Mann von Opus Dei, die Kolumbianer Castellón Hyos und López Trujillo und auf jeden Fall der Deutsche Ratzinger. In diesen letzten Monaten hat Wojtyla bereits seine Nachfolge geregelt und die wichtigsten Männer im Vatikan auf Josef Ratzinger eingeschworen.“

Auf jeden Fall kann man nicht von einer Designation sprechen, denn wer weiß, wie die Konklave funktionieren, der weiß, dass Eigendynamiken und völlige Unhabhängigkeit vorherrschen. Man kann dies aber als eine Zukunftsdiskussion auffassen, wo man innerhalb der Kirche die Frage gestellt hat, wie man in Zeiten des Relativismus einen neuen Weg finden soll. Es schien allen evident, dass Johannes Paul II. bei diesem Anlass wollte, dass Ratzinger, der 20 Jahre an seiner Seite stand, seine Nachfolge antreten soll. Und so hat Ratzinger in den nächsten Monaten in drei Interviews ganz klar das auf den Punkt gebracht, was auch der alte Papst in seinem Herzen hatte. Das erste Interview erschien am 25. März 2005, am Karfreitag das zweite, am 1. April und das dritte am 18. April in der Messe, welche die Konklave eröffnete.