Kapitel 3

Der Hirte und die Wölfe

An jenem 24. April 2005 war am Sankt Peter Platz ein Lüftchen. Der Himmel war blau und Papst Benedikt XVI. hat die Messe zelebriert. Alle hatten sich ein Programm seines Pontifikats erwartet. Und der neue Papst ist auf den Platz getreten mit den Worten: „Betet für mich, damit ich nicht fliehe aus Angst vor den Wölfen.“ Jene Worte, die nicht typisch sind für eine Messe, sind nicht unbeachtet geblieben. Es war eigenartig, dass Ratzinger als Papst von Wölfen sprach. Wer waren jene Wölfe? Selbst Jesu hatte ja gesagt: „Ich schicke euch wie Schafe unter die Wölfe.“ Ich glaube man kann das als den Hass der Welt und der Weltmächte verstehen. Und man muss zugestehen, dass Ratzinger nicht geflohen ist, sondern seine Schultern stark entgegengestellt hatte.

Wenige Tage vor seinem Rückzug, am 6. Januar 2013, hat Papst Benedikt XVI. am Ende seines Papsttums eine ähnliche Metapher gebraucht. „Ein Bischof muss sich heute entgegenstellen können, nicht mit Gewalt oder Aggressivität, aber indem er sich auch verletzen lässt und indem er seinen Kopf entgegenstellt den Meinungen, die die Zeit dominieren. Und der Mut, den jener hat, der mit Gott steht, ist bei allen gefordert, die Gott wie Schafe unter die Wölfe schickt.“ Auch der Apostel Paulus spricht von Wölfen, wenn er die Feinde bezeichnet. Auf jeden Fall hat Ratzinger, so wie er war und ist, diese Worte sicherlich nicht zufällig gebraucht. Sicherlich hat Ratzinger jenen, die eingeweiht sind, eine Botschaft hinterlassen wollen, weil das Papsttum, oder besser gesagt die Kirche, gravierenden Angriffen ausgesetzt ist.

Jene Worte sind sogar noch kräftiger, wenn man dann den Rückzug als Papst vergegenwärtigt. Man stellt sich dann die Frage, wer diese Wölfe sind. Eines ist sicher, Benedikt ist nicht geflüchtet. Man muss sicherlich zurückweisen, dass es persönliche Gründe gewesen sein sollen. Zum Zeitpunkt des Rückzuges war die Intellektualität Benedikts perfekt und so auch seine Gesundheit. Er hat dann erklärt, offiziell, dass sein Rückzug aufgrund seines fortgeschrittenen Alters geschehen sei. Massimo Franki hat Folgendes dazu geschrieben: „Ein Papst, der sich zurückzieht, ist bereits ein epochales Ereignis, aber wenn ein Papst sich zurückzieht, der eigentlich gesund ist und noch geistig gesund ist und dabei sein Alter als Argument bringt, dann ist das auf jeden Fall ein Bruch mit der Tradition.“

Auf jeden Fall gab es auch viele ältere Päpste und man hat auch in gewissen Texten fest geschrieben, dass ein Papst nie wegen seines Alters zurücktreten kann. Das hat der Kardinal Vincenzo Fagiolo im Jahr 1994 in seinen Studien über Gesetzestexte des Vatikans nachgewiesen, wo er eigentlich als solcher von Papst Johannes Paul II. eingesetzt wurde, um die Frage aufzuwerfen, wann ein Papst und wie ein Papst zurücktreten kann. Und gerade Johannes Paul II. hat trotz seiner schweren Erkrankung dran festgehalten, dass er trotzdem Papst sein will und die Last auf sich nehmen wird, weil ein Papst sich nicht zurückziehen kann. In ihm lag die Überzeugung, komplett in den Händen Gottes zu sein. Und Johannes Paul II. wusste, wie jeder Gläubige, dass Gott ihn immer zu sich hätte holen können.

Ratzinger hat gemeinsam mit Johannes Paul II. gelebt und er hat diese Entscheidung immer geteilt. Und dann hat er seinen Rückzug erklärt. Nur wegen des Alters? War ein solcher Schritt nicht widersprüchlich? Jesus hat gesagt, er hätte die Welt mit dem Kreuz erobert und gewonnen. Und in der Kirche ist gerade Schwäche eine Art Stärke. Hätte Ratzinger nicht auf die Kraft Jesu Christi zählen können? Was war geschehen, dass Ratzinger sich zurückgezogen hat? Das waren sicherlich nicht jene Skandale, wie der Pädophilie-Skandal oder der Skandal Vatileaks. Der Kanonist Luigi Chiappetta hat in seinem Kommentar über den Rückzug des Papstes geschrieben: „Der Papst hat freiwillig seinen Rückzug angekündigt und er darf das aufgrund von moralischen, nicht juridischen Gründen. Es muss sich um einen wirklichen Grund, auch verhältnismäßigen Grund handeln.“

Wenn er also kein wirklicher triftiger Grund dagewesen wäre, dann wäre dieser Rücktritt nicht verständlich gewesen. Auch der Kanonist Carlo Fantappiè hat am 9. März 2013 untermauert, dass ein Rückzug des Papstes nur in außergewöhnlichen Fällen und für das Wohlergehen der Kirche geschehen kann. Es kann also nur ein außergewöhnlicher Fall gewesen sein, der den Papst dazu bewogen hat. Diese Argumente der beiden Gelehrten Chiappetta und Fantappiè stellen auch die Kommentare, die meist oberflächlich und ideologisch sind, in Frage, die behaupten, dass es genauso, wie es emeritierte Bischöfe gibt, auch emeritierte Päpste geben kann. Denn es bedarf gravierender Gründe, und Papst Benedikt ist nicht zurückgekehrt als emeritierter Bischof, sondern er ist emeritierter Papst geblieben. Ein großer Gelehrter wie Ratzinger hat genau gewusst, was für Auswirkungen so ein Schritt haben hat können und auch welche ideologischen Interpretationen man darin hätte hineinstecken können. So wie dies dann auch ein Hans Küng geschrieben hat, der sich jetzt als Sieger sah und der behauptet hat, dass mit dem Rückzug des Papstes dieses Amt entmystifiziert worden wäre. Es können also nur gravierende Argumente gewesen sein.

Auf jeden Fall hat Benedikt auch am 27. Februar 2013 in seiner Abschiedserklärung gesagt, dass es um das Wohlergehen der Kirche geht. Sein Schritt muss also gesetzt worden sein, um irgendetwas bewusst zu machen. Hat er ein Problem in der Kirche festgemacht? Hat er vielleicht sogar einsehen müssen, dass er das Problem der Kirche sei? Kann eine Person wie er ein Problem sein? Für wen war seine Präsenz ein Problem? Manche haben den Problemfall Vatileaks als Grund erklärt. Wollte er all die Probleme mit seinem Rückzug auf Null setzen? Hat es nicht vielleicht auch Kräfte gegeben, die bewusst dieses Vatileaks Problem in Umlauf gebracht haben, um den Papst zu isolieren und zu delegitimieren?

Das lässt der Fakt glauben, dass manche Kreise Benedikt bereits seit Beginn bekämpft haben, lange bevor Bertone Staatssekretär geworden ist. Und diese Kreise haben sich bestärkt gefühlt, gerade im Fall Bertone, wo man Benedikt vorgeworfen hat, dass seine Kirche in falschen Händen liegen würde. Von außen gesehen ist es unmöglich die verschiedenen Lobbies und Gruppen zu indentifizieren. Am 10. März 2009 hat Papst Benedikt etwas öffentlich gesagt, was vieles und alles erklärt. Benedikt musste einen Text des Galaterbriefes kommentieren 5,13-15 und er hat gesagt, er hätte bemerkt, dass jene Worte, die dort vorkommen, mit einer gewissen Klarheit auch über den heutigen Moment sprechen würden. Die Stelle lautet: „Wenn ihr aber einander beißt und fresst, sehet zu, dass ihr einander nicht aufzehrt!“ Und der Papst hat hinzugefügt: „Ich habe diese Worte immer als eine Metapher aufgefasst, vielleicht ist sie das auch. Aber leider ist dieses Auffressen und bekämpfen auch in der heutigen Kirche präsent als eine Expression von einer falsch interpretierten Freiheit. Ist es vielleicht eine Überraschung, dass wir nicht besser sind als die Galater? Dass wir von denn gleichen Gedankengefühlen befangen sind, dass auch wir lernen müssen unsere Freiheit richtig einzusetzen? Und dass wir immer wieder neu lernen müssen die Liebe wahrzunehmen und auszuführen.“

Papst Benedikt war zu jener Zeit im Feuer der Kritik, als er die vie lefebrianischen Bischöfe wieder einsetzen wollte. Und wenn man bedenkt, dass aus gewissen Kirchenkreisen es angenehm und richtig sein soll, mit islamistischen Extremisten zu verkehren, aber mit Katholiken, wie diesen Bischöfen, nicht, dann ist das schon fragwürdig. In einem Brief schreibt Papst Benedikt: „Ich bin betrübt geblieben aus diesem Gefühl heraus, dass auch Katholiken, die es besser hätten wissen müssen, mich angegriffen haben. Man hat das Gefühl, dass unsere Gesellschaft eine Gruppe braucht, der man überhaupt keine Toleranz zugestehen soll, der man ohne weiteres mit Hass gegenüber treten kann. Und wenn jemand dieser Gruppe sich annähert, auch wenn es der Papst ist, dann verliert auch er jedes Recht auf Toleranz und auch er wird mit Hass begegnet.“