Kapitel 6

Der Prophet

Es war für alle, nicht nur für Christen ersichtlich, dass sich mit dem Rücktritt von Benedikt eine geistige Leere eröffnen würde. Ich selbst war in der Zeit des Rücktritts, also zwischen dem 11. und dem 28. Februar 2013 über das Verhalten der Kardinäle sehr verwundert. Am 21. Februar 2013 habe ich auf der Zeitung Libero auf der ersten Seite folgenden Artikel verfasst, den ich jetzt zitieren werde:

„Wieso tragen die Kardinäle die roten Kleider, die ja eine Bereitschaft zum Märtyrertum verdeutlichen, und wieso bewegen sie Benedikt nicht zu einem Umdenken. Viele Gläubige haben diesen Wunsch gehabt, dass Benedikt nicht zurücktritt. Die Kardinäle könnten folgendes Vorgehen an den Tag legen. Sie könnten alle ihre Ämter niederlegen und somit Benedikt die Entscheidung anvertrauen, wer weiterhin welches Amt bekleidet und wer ihm bei seinem Papsttum behilflich ist. Diese große Geste würde auch Benedikt zugute kommen, der ja bei seinen Rücktrittserklärungen erklärt hat, dass diese auch auf seinen Schwächen in der Führung und Verwaltung des Kirchenstaates liegen. Diese große Geste wäre vor allem auch eine Antwort der Kardinäle, die ähnlich wäre wie der Rücktritt von Benedikt. Das wäre eine Geste der Hochschätzung und des Lobes. Das würde aller Welt verdeutlichen, was wirklich die Kirche ist, was Petrus für die Kirche Gottes darstellen soll. Kann die Kirche in den Zeiten wie die unsrige auf seine große Gestalt, auf seine große Persönlichkeit wie Benedikt XVI. verzichten? Kann man nicht sagen, dass die Kirche dann ab dem 28. Februar eine immense Leere verspüren wird.“

Aber im Gegenteil: Die Kardinäle unternehmen gar nichts, um auch öffentlich den Papst zum Umdenken zu bewegen. Und als der Kardinal Sodano die Messe gehalten hat, die der Konklave vorgeht, kann man diese auch irgendwie als eine Kritik an Ratzinger verstehen. Den Abtritt Ratzingers aus dem Vatikan mit diesem weißen Helikopter kann man effektiv mit dem biblischen Propheten Ezechiel vergleichen.

Ezechiel 12, 1-12

„Das Wort des Herrn erging an mich:

Menschensohn, du wohnst mitten unter einem widerspenstigen Volk, das Augen hat, um zu sehen, und doch nicht sieht, das Ohren hat, um zu hören, und doch nicht hört; denn sie sind ein widerspenstiges Volk. Du, Menschensohn, pack deine Sachen, als würdest du verschleppt, und geh am hellen Tag vor ihren Augen weg, als ob du vor ihren Augen von deinem Wohnsitz an einen andern verschleppt würdest. Vielleicht sehen sie es; aber sie sind ja ein widerspenstiges Volk. Trag dein Gepäck bei Tag vor ihren Augen hinaus wie ein Mann, der verschleppt wird. Am Abend aber geh selbst vor ihren Augen hinaus wie die Leute, die in die Verbannung ziehen. Brich dir vor ihren Augen ein Loch in die Wand und kriech hindurch! Vor ihren Augen nimm das Gepäck auf die Schulter! Bring es in der Dunkelheit weg! Verhülle dein Gesicht, damit du das Land nicht mehr siehst. Denn ich habe dich zum Mahnzeichen für das Haus Israel gemacht. Ich tat, was mir befohlen wurde. Bei Tag trug ich mein Gepäck hinaus wie ein Mann, der verschleppt wird. Am Abend brach ich mit den Händen ein Loch durch die Wand; in der Dunkelheit kroch ich hindurch. Dann nahm ich vor ihren Augen das Gepäck auf die Schulter.

Am nächsten Morgen erging das Wort des Herrn an mich:

Menschensohn, hat nicht das Haus Israel, das widerspenstige Volk, zu dir gesagt: Was machst du da? Sag zu ihnen: So spricht Gott, der Herr: Dieses drohende Wort gilt dem Fürsten von Jerusalem und dem ganzen Volk Israel, das in Jerusalem wohnt. Sag: Ich bin ein Mahnzeichen für euch: Was ich getan habe, das wird mit ihnen geschehen; in die Verbannung, in die Gefangenschaft werden sie ziehen. Ihr Fürst wird in der Dunkelheit sein Gepäck auf die Schulter nehmen und hinausgehen. In die Mauer wird man ein Loch brechen, um hindurchzugehen. Er wird sein Gesicht verhüllen, um mit seinen Augen das Land nicht zu sehen.“

Die Abwesenheit Benedikts hat sich sofort für alle als etwas Schreckliches dargestellt. Als jetzt nämlich der Katechon weg war, war niemand mehr da, der das Böse hätte bekämpfen können, außer Bergoglio, der im August 2014 gesagt hat, es würde der 3. Weltkrieg beginnen. Es ist wohl nicht zufällig, dass Cacciari in Bezug auf die irakischen Christen gesagt hat: „Heute fehlt der Katechon, die Kraft, die derartige Genozide verhindern würde.

Giuliano Ferrara hat im Sommer 2014 an die Diskussionen erinnert, die in dem Jahrzehnt vorher in Bezug auf die Artikeldebatte im Europäischen Parlament über Artikel 14 geführt worden sind, nämlich den Artikel, wo es um die Embryonen geht. Und gerade dort gab es eine heftige Diskussion moralischer Art, an der sich auch die Kirche beteiligt hat, und wo man auch in den Diskussionen selbst immer wieder über ethische Grenzen, die notwendig seien, gesprochen hat. Und Ferrara sagt: „Ein Papst und eine Kirche, jene katholische, haben mit den nichtverhandelbaren Werten ein Schlagwort in den Raum gesetzt, welches für die Ethik und die Politik wichtig war, um Grenzen zu setzen in dieser Diskussion und um auch die Aufgaben des Staates zu definieren. Und das war eine Phase, die einige Jahre später sogar vielleicht den Kopf des Papstes gekostet hat.“ Und Ferrara fügt hinzu: „Die Kirche hat inzwischen aber das Kampffeld verlassen. Sie ist geflüchtet aus ihrer Verantwortlichkeit religiöser, philosophischer und doktrinärer Natur — und wir sind alle in die Tiefe gestürzt.

Und heute hat sich eine Kultur festgesetzt des Rechtes auf Sterben, der selektiven Abtreibung und Eugenik, der Zerstörung einer Welt der Entwürdigung, die sich hinter den Kindern vom Gazastreifen versteckt, die aber ein eugenisches Konzentrationslager am heiteren Himmel errichtet. Da ist die Welt, die Laizisten, aber auch bestimmte Christen entwickelt und festgesetzt haben. Der Abtritt Ratzingers war symbolisch gesehen viel mehr, es war ein Rückzug des päpstlichen Thrones überhaupt.“

Wenn heute nicht sogar etwas passiert, das keinem auffällt, das aber enorme Auswirkungen hat.