Kapitel 8

Das Gewand und der Mönch

Im Februar 2014 habe ich in diversen Artikeln in der Zeitung Libero diese Fragen aufgeworfen. Und ich habe aufgeworfen, dass zahlreiche Vatikankollegen bei der Wahl von Bergoglio in sehr enthusiastischen Positionen aufgefallen sind. Und so ist eines Tages auch in der Zeitung La Stampa und Vatican Insider Ende Februar in großen Buchstaben der Titel erschienen: „Der Rücktritt ist gültig. Absurd, über meinen Rücktritt zu spekulieren“, mit Bezug auf Benedikt XVI. Das kam alles wie eine auffällige Antwort auf die vielen Fragen, die sich gestellt haben. Und ich glaube aber, dass der Journalist Andrea Tornielli, der für Vatikan Insider ein Interview geführt hat, letzten Endes das Gegenteil von dem erreicht hat, was er wollte.

Für mich haben sich die Verdachtsmomente erhöht. Denn man weiß, dass der Vatikan niemals über Unterstellungen und dergleichen auf derartige Dinge reagiert. Wenn hier sogar der Papst antworten muss, dann weiß man, dass die Problematik gewaltig sein muss. Dieses Interview ist komischer Weise ohne die Fragen veröffentlicht worden, die gestellt wurden. In diesem Artikel wird geschrieben, dass der Papst seinen Rücktritt wirklich frei gewählt hat. Wenn man das so schreibt, muss man aber die Frage stellen, ob sich jemand die Frage gestellt hat, ob der Papst vielleicht gelogen hätte, wenn er von „wirklich frei“ spricht. Tornielli schreibt im Artikel: „Benedikt wirft wirklich alle Vorwürfe dahin, dass seine Rücktrittsgedanken durch irgendwelche geheime Motivationen begründet sein könnten.“

Auf eine andere Frage, die aufgeworfen ist, wieso der Papst eigentlich Titel und Kleidung beibehält, hat der Papst folgendermaßen geantwortet: „Die Beibehaltung der weißen Kleidung und des Namen Benedikt ist für mich einfach eine praktische Entscheidung. Im Moment des Rücktritts waren keine anderen Kleider verfügbar.“

Vieles deutet darauf hin, dass Benedikt bei dieser Antwort seinen intellektuellen Witz ins Spiel bringen wollte. Die Zeitung La Stampa hat das hingegen als eine ernste Antwort wahrgenommen. Sie glauben offensichtlich wirklich, dass zwischen dem 11. Februar und dem 28. Februar, zwischen dieser Zeit der Ankündigung des Rücktrittes im gesamten Vatikan kein Geschäft und kein Schneider verfügbar gewesen seien. Zudem weiß man vom Kardinal Bertone, dass die Entscheidung eigentlich bereits Monate vorher gefallen ist. Man wird wohl nicht glauben wollen, dass in diesem ganzen fast Jahreszeitraum keine neue Kleidung hat entstehen können.

Und hat Benedikt wirklich wegen der Kleidung eine solche Entscheidung getroffen, die über die gesamte Kirchengeschichten und Theologie einen Präzedenzfall bedeutet? Weiß man auch noch, dass Benedikt sein Siegel hat beibehalten wollen und weder zu dem als Kardinal zurückkehren, aber auch nicht eines als emeritierter Papst anfertigen lassen wollte? Dann wird das alles eigentlich ziemlich klar.

Aber in diesem Artikel mit Tornielli fehlt eigentlich eine wichtige Frage, die ich in meinem Artikel aufgeworfen habe, nämlich was dieses „Immer-und-für-immer“ bedeuten soll und dass es keinen Rückzug ins Private geben könne. Es wäre interessant gewesen, wenn alle diese Fragen hätten beantwortet werden können, aber scheinbar ist die Zeit noch nicht reif dafür, und offensichtlich wird auch Benedikt im Vatikan selbst mit seiner Position als emeritierter Papst immer mehr als unangenehm wahrgenommen.

Es hat sogar Papst Bergoglio selbst gesagt, dass manch einer in der Kurie den emeritierten Papst nicht als solchen anerkennen wolle. Und seine Worte waren: „Manch einer wollte, dass er sich komplett zurückziehen würde in irgendein Kloster fernab des Vatikans. Ich habe an die Opas und Großeltern gedacht, die mit ihrer Weisheit und ihren Ratschlägen für die Familie nicht verdient haben, dass sie weggesetzt werden.“ Ein Gedankengang, der vielfach als solcher nicht wahrgenommen wurde, der aber auch zeigt, dass es eine Feindschaft gibt im Vatikan.

Nach dieser ironischen Antwort in der Zeitung La Stampa ist am 28. Februar eine Antwort gekommen, welche der Partikularsekretär Monsignore Georg Gänswein erklärt hat. Er hat in einem Interview mit der Zeitung Avvenire auf die Frage, ob es der Papst Benedikt bereuen würde, sich als Papst bezeichnet zu haben, folgende Antwort gegeben: „Er ist der Meinung, dass dieser Titel der Realität entspricht.“ Das wäre eine richtige Antwort gewesen auf die Frage von Tornielli.

Zudem hat Benedikt zwar fernab vom Weltlichen leben wollen, er hat aber auch nicht nicht auf solche Fragen antworten können, denn ein Schweigen hätte wahrscheinlich den Verdacht nur noch gesteigert. Auf jeden Fall bestätigen die Worte von Gänswein, dass der Titel emeritierter Papst sicherlich nicht auf die Kleidung zurückzuführen ist, denn die Kleidung macht noch keinen Mönch aus. Die Kleidung ist stattdessen eine Konsequenz der Realität. Wer Ohren hat, versteht.

Es bleibt dabei, dass dieses „Immer- und-für-immer“ zentral bleibt, um das alles zu verstehen. Für heute sind diese Fragen, die sich stellen, noch nicht beantwortet worden. Es werden Zeiten kommen, wo alle diese Fragen eine Antwort finden werden.

Eine einzige Erklärung für den Rücktritt ist die Tatsache, dass Papst Benedikt seit diesem erfolgten Rücktritt nicht mehr öffentlich hat sprechen wollen. Es sprechen hingegen seine Gesten, seine Zeichen, seine Entscheidungen und die Erklärungen, die ein Monsignore Gänswein von sich gibt. In einem Interview mit der Zeitung Messagero vom 22. Oktober 2013 hat der Partikularsekretär Gänswein, der auch unter Franziskus Präfekt ist, einige weitere interessante Sätze von sich gegeben. Auf die Frage: „Besteht nicht die Gefahr, dass es im Vatikan einen Papst und einen Antipapst geben könnte?“ hat er eine sehr signifikante Antwort gegeben: „Überhaupt nicht. Es gibt einen regierenden Papst und einen emeritierten Papst. Wer Benedikt kennt, der weiß, dass diese Gefahr nicht bestehen kann. Man hat nie in den Stil der Regierung hineingeredet und man hat auch nie diesen Versuch gemacht und es ist auch nicht Teil des Stiles von Ratzinger. Der Theologe Ratzinger weiß, dass jedes seiner öffentlichen Worte eine gewisse Aufmerksamkeit auf sich ruft, und das alles für oder gegen den Papst gewertet werden würde. Deshalb wird er öffentlich nicht auftreten. Zum Glück gibt es zwischen ihm und Franziskus ein Verhältnis von Ehrlichkeit, von Wertschätzung und von brüderlichem Auftreten.“

Man muss sich vergegenwärtigen, dass Ratzinger weder dafür noch dagegen reden will. Viele Dinge können heute weder erklärt noch etwas aussagen, denn die vielen Signale und auch Nachrichten, die aus den heiligen Palästen kommen, sind subtil. Sie müssen entschlüsselt werden und es ist nicht leicht, sie richtig zu interpretieren.

Aus einer anderen Botschaft von Gänswein, der als Verbindungsmann zwischen Benedikt und Franziskus fungiert, kommen auch weitere interessante Details hervor. Ich beziehe mich auf das, was Gänswein in der Washington Post gegen Ende 2013 gesagt hat. Bei dieser Gelegenheit spricht Gänswein von zwei Päpsten. Und er sagt weiter: „Der Stil von Papst Franziskus ist sehr verschieden von dem von Benedikt, was nicht bedeuten soll, dass er besser ist.“ Und weiter sagt er, dass Erfolg alleine nicht das Kriterium sein kann. Denn Benedikt habe viele Samen gesät und Ergebnisse wird man nicht gleich sofort sehen.

Um zurückzukommen auf den Artikel von Tornielli in der Zeitung La Stampa: Dort war am Anfang davon die Rede, dass Papst Benedikt die Vorwürfe zurückweisen würde, dass es eine Doppelherrschaft geben würde. Im Brief von Benedikt, den dieser dann in der Zeitung veröffentlichen ließ, also dieser Brief, der ja in Interviewform abgedruckt wurde, ohne die Fragen zu stellen, ist hingegen überhaupt nicht von Doppelherrschaft die Rede, d. h. im Vorwort zum Artikel spricht man von einer Verneinung, im Artikel selbst kommt nichts dazu vor.

Persönlich glaube ich auch nicht an eine Doppelherrschaft: Man muss aber auch die Zeichen anschauen und es kommt komisch vor, wenn man sieht, wie beide Päpste in den Vatikanischen Gärten die Statue des Erzengel Michaels einweihen, wo dann beide Papstsiegel abgebildet sind. Und noch mehr verwundert es, wenn beide Siegel auf den Trommeln der Schweizer Garden abgebildet sind, wenn man weiß, dass die Schweizer Garden eine bewaffnete Einheit sind, die den Papst persönlich verteidigen. Hinzu kommt, dass eines Tages jemand die Doppelherrschaft sogar bekräftigt hat, und das hat genau Papst Bergoglio selbst getan.