Kapitel 10

Drei Parteien und die Emporkömmlinge

Ruggero di Howden erzählt in seiner Chronik, welche den Rücktritt von Papst Coelestin III. zu Weinachten 1197 erzählt, dass nach dem Rücktritt dieses Papstes die Kardinäle behauptet hätten, dass ein solcher Rücktritt unerhört und unglaublich sei. Auf jeden Fall ist die Entscheidung des Papstes souverän und sie muss nicht von den Kardinälen bestätigt oder nicht werden. Dass aber 2013 beim Rücktritt von Benedikt kein ähnlicher Vorfall der Kardinäle passiert ist, ist überraschend. Ratzinger hat sich nach seinem Rücktritt zurückgezogen. Er ist in den Helikopter gestiegen und er hat den Kardinälen jede weitere Entscheidung überlassen. Denn im Gegensatz zu anderen weiß Ratzinger, dass die Entscheidungen nicht durch den Heiligen Geist gefällt werden, sondern durch Menschen. Und es sind auch externe Lobbies, die durch die Medien ihren Druck ausüben.

Am 16. Januar 2013 habe ich in der Zeitung Libero, also einen Monat vor der Konklave, folgenden Kommentar veröffentlicht: „Ist es möglich, dass Benedikt die Angst hat vor dem Einfluss der Massenmedien in Bezug auf die nächste Konklave? Wahrscheinlich will Benedikt seine Kardinäle hier spirituell vorbereiten. Ich beziehe mich hier auf die überraschende Konversation zwischen dem Papst Benedikt und den römischen Pfarrern, in welchen er sich auf die Auswirkungen und Einwirkungen der Massenmedien zur Zeit des Konzils bezogen hat. Dort hat Ratzinger gesagt, dass es neben dem Konzil der Geistlichen auch ein Konzil der Medien gegeben habe. Und das Volk hat das Konzil der Medien wahrgenommen, nicht jenes der Geistlichen.

Dieses Konzil der Medien hat sich natürlich nicht im Rahmen des Glaubens, sondern im Rahmen der Regeln der Medien selbst abgespielt. Und für die Medien war dieses Konzil ein Machtkampf, ein politischer Kampf. Und es gab laut Ratzinger verschiedene sogenannte Parteien in den Medien. Da waren einerseits jene, die eine Dezentralisierung der Kirche wollten mit einem Machtzuwachs für die Bischöfe, andere wollten mehr Macht für das Volk Gottes und andere für die Laien. Natürlich war das der Weg, den die Medien befürwortet haben. Und genauso war es auch für die Liturgie, die nicht mehr als ein Akt des Glaubens wahrgenommen wurde und auch nicht verständlich gemacht worden ist, sondern als irgendeine Gemeinschaftsaktivität, als eine profane Sache. Und diese Übersetzungen haben die Idee des Konzils banalisiert.

Ratzinger zieht dann eine Bilanz. Während das, was die Medien behauptet haben, nämlich für alle zugänglich war, ist der echte Geist und sind die echten Inhalte des Konzils nicht den Menschen draußen zugänglich gemacht oder verständlich gemacht worden. Ratzinger hat dann auch noch ein Scheitern des Konzils der Medien vorhergesagt und behauptet, es müsse eine wirkliche Erneuerung der Kirche stattfinden im Sinne des authentischen Konzils.

Der Diskurs vom Papst erinnert an viele andere Intellektuelle und Gelehrte, die ähnlich über das Konzil geurteilt haben. So z. B. der Kardinal De Lubac, der von einer parallelen Einrichtung gesprochen hat. Oder Monsignore Luigi Maria Carli, der von einem Parakonzil spricht. Für Carli ist es so gewesen, dass dieses Parakonzil all die Probleme und die Krisen hervorgelöst habe. Dieses Parakonzil, das für sich beansprucht, den Geist des Konzils weiterzugeben, würde sogar die Texte des Konzils verraten.

Im Gegensatz zu Lubac und Carli hat Benedikt XVI. vor allem die bösartigen und schädlichen Auswirkungen der Medien unterstrichen, besonders in Bezug auf die nächste Konklave. Benedikt wollte also die katholische Kirche vor der sogenannten „kathodischen“ Kirche schützen.

Für die Kirchendoktrin ist es nicht so, dass der Heilige Geist den Papst wählt, sondern dass es Menschen sind, Menschen, die Purpur tragen, also Kardinäle, die in der Sixtinischen Kapelle sitzen. Dann, sobald jemand von den Kardinälen gewählt ist, erst dann erhält er nach Kirchendoktrin den Segen des Heiligen Geistes. Es gibt nämlich sehr viele Vorfälle, auch bei solchen Wahlen, die man sicherlich nicht als Entscheidungen des Heiligen Geistes bezeichnen kann. Und so hat auch der Kardinal Siri nach dem Tod von Papst Paul VI. 1978 an die Kardinäle folgende Worte gerichtet: „Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass der Heilige Geist an alle Sachen denkt. Es sind wir, die keine unüberlegte Entscheidungen treffen müssen.“

Ende des Artikels von Socci. Und weiter im Text:

Man bemerkt, dass auch bei der Konklave von 2013 viel mehr bestimmte kirchliche Parteien ihren Einfluss gehabt haben als der Heilige Geist. Die gewinnende Partei, das war bei dieser Konklave jene, welche den Kardinal Bergoglio ins Rennen geschickt hat und welche auch die deutschen Bischöfe, jene, die die Ideen von Rahner und Martini vertreten, an sich geheftet haben, sowie die lateinamerikanischen Kreise. Gerade Letztere, also die lateinamerikanischen Kreise, haben die Wahl Bergoglios mit einer eigenen Strategie verfolgt. Es haben also jene gewonnen, die auch bestimmte Ratzingerkreise für sich überzeugen konnten und die versprochen haben, dass sie im Vatikan in Bezug auf den Kardinal Bertone reinen Tisch machen würden. Komischerweise hat aber auch Bertone mit seinen Kreisen schlussendlich Bergoglio gewählt. Dieser Fakt ist zurückzuführen auf einen alten Machtkampf rund um den Kardinal Scola, der bereits 2009 an Benedikt herangetreten ist und der gemeinsam mit anderen Kardinälen gefordert hatte, dass man den Staatssekretär austauschen solle.

„Benedikt XVI. hat laut dem Journalisten Nikolas Dia anlässlich des Konklaves bis zuletzt geglaubt, dass der Kardinal von Mailand, also Kardinal Scola, gewählt werden würde. Aber um zu diesem Resultat zu kommen, hätte er den Kardinal Bertone auffordern müssen, mit seinen ständigen Diffamierungen aufzuhören. Und das einzige Ziel dieses Staatssekretärs Bertone war, während des Konklaves jene Kandidaten zu verhindern, die Ratzinger am nächsten standen. Und das war sicherlich ein eigenartiges Ereignis, die rechte Hand Benedikts hat alles unternommen, Kandidaten zu verhindern, die durch Benedikt gewollt wurden. Und auf jeden Fall hat aber Kardinal Scola auch Fehler begangen, die es seinen Gegnern leicht gemacht haben.“

Auf jeden Fall war die gewinnende Partei viel besser organisiert. Leider war das nicht ein Kirchenkreis oder eine Kirche, die ähnlich wie jene, die Johannes Paul II. gewählt hatte, ein klares Ziel gehabt hat, denn der Gedanke von Johannes Paul II., der gegen den Kommunismus gekämpft war, gab der Kirche eine Wegweisung.

Teil der gewinnenden Partei von Bergoglio 2013 waren vor allem jene deutschen Kardinäle, die progressistisch eingestellt sind und die von der Rahnerschen Schule stammen und die immer schon Gegner Ratzingers waren. Man muss die wesentliche Rolle von Walter Kasper im Zuge des Konzils annehmen. Nicht zufällig hat Bergoglio wohl bei seinem ersten Angelus am Petersplatz Walter Kasper und eines seiner Werke zitiert. Und wohl auch nicht zufällig hat Bergoglio Walter Kasper die Rolle im Konsistorium zugewiesen, mit dem Vorhaben, die Geschiedenen wieder zur Eucharistie zuzulassen, was weitreichende Folgen auf die Ehe nach christlichem Vorbild hat und auch auf das Prinzip der Nichtaufkündbarkeit der Ehe selbst.

Man muss sich hier auch die Macht der deutschen Kirche vergegenwärtigen. Die deutsche Kirche, die ja für sich beansprucht, eine Kirche der Armen zu sein, ist eine wahre ökonomische Macht. Sie hat auch wirklich kolossale Staatseinnahmen, die auf die Kirchensteuer zurückzuführen sind und die in 2012 z.B. 5,9 Mrd. EUR in die Kirchenkassen gespült haben. Und das ist, um es verständlich zu machen, eine Ziffer, die sechsmal so hoch ist wie jene, welche die italienische Kirche erhält, auch wenn die deutsche Kirche nur halb so viele Kirchenmitglieder hat. Die Kirchensteuer in Deutschland ist keine freie Steuer, denn man kann ihr nur entgehen, wenn man aus der Kirche austritt. Und es handelt sich dabei besonders auch von der Kirche aus in Deutschland als eine Glaubensfrage. In Italien ist die Kirchenabgabe hingegen freiwillig.

Diese Haltung der deutschen Kirche wurde vom Heiligen Stuhl, besonders unter der Zeit Ratzingers kritisiert. Und es ist verwundernd, dass genau jene deutsche Kirche zur gleichen Zeit eine Kirche verlangt, die näher an der Welt ist, die auch die Geschiedenen wieder zur Kommunion zulassen will und die viele Verpflichtungen und moralischen Grenzen aufheben will, besonders auch, was sexuelle Normen betrifft.

Der Philosoph Robert Spämann, ein Freund von Joseph Ratzinger, hat festgestellt, dass in Deutschland Leute, welche die Auferstehung Christi leugnen, immer noch Professoren für christliche Theologie und katholische Theologie bleiben, während Gläubige, die sich weigern wollen, die Kirchensteuer zu zahlen, aus der Kirche ausgeschlossen werden. Zu dieser ökonomischen und bürokratischen Macht kommt auch noch etwas anderes hinzu. Die Zeitung „Il Timone“ schreibt z.B., dass die deutsche Caritas 500.000 Personen Vollzeit anstellt, was mehr ist als die Angestellten der Volkswagengruppe, die 389 Tausend Angestellte umfasst.

Man muss sich das auch vorstellen, dass die Angestellten, das Personal der Kirche, ungebrochen ist, während die Gläubigen selbst immer weniger werden. Und würde man die Kirchenabgaben wirklich freiwillig machen, dann würde dieses System komplett zusammenbrechen. Wenn man sich die Kirchenzahl in Deutschland anschaut, muss man feststellen, dass nur im Jahr 2013 179 Tausend Menschen die Kirche verlassen haben in Deutschland. Während es ein Jahr vorher 118 Tausend Menschen waren. Und man hat hier versucht, diesen Mitgliederschwund vor allem auch auf das Pontifikat von Josef Ratzinger hin zu beziehen und auf die vielen Skandale. In der Realität muss man aber sagen, dass sehr viele die Kirche verlassen, weil sie die Kirchenabgaben nicht mehr leisten können und wollen. Auf jeden Fall haben diese enormen Summen, die die deutsche Kirche erhält, auch einen großen Einfluss auf die Macht der deutschen Kirche innerhalb der katholischen Kirche.

Und jetzt folgt ein Blick auf die Kirche Südamerikas, welche die zweite gewinnende Partei bei der Wahl Bergoglios gewesen ist. In Argentinien ist die Zahl der Gläubigen in den letzten 18 Jahren um 10% gesunken, was genau in der Zeit war, als Bergoglio Erzbischof war. Schaut man dann auch noch auf die Länder der Kardinäle Hummes und Maradiaga, also die beiden großen Wahlwerber für Bergoglio, sind die Zahlen sogar noch katastrophaler. In Brasilien betrug die Zahl des Rückganges ganze 15% in jener Zeit. Gerade der Kardinal Hummes ist ein perfektes Beispiel für die Karriere südamerikanischer Kardinäle. Denn dieser hat in den 70er Jahren z.B. sich der Befreiungstheologie angeschlossen.

Kardinal Maradiaga hingegen, der in Honduras tätig war, musste in jener Zeitspanne, also in den 18 Jahren, sogar einen Rückgang von Gläubigen im Rahmen von 30% hinnehmen. Maradiaga ist im April 2013 sofort vom Papst als Vorsitzender jener Kardinalsgruppe gewählt worden, die die Kirchenreform einleiten müssen, also quasi als Vize Papst eingesetzt worden. Das war sicherlich nicht eine Anerkennung für seine Leistungen als Bischof in Honduras, sondern ein Dank für den Einsatz bei der Wahl Bergoglios.

Maradiaga hat sofort schon den Vorsitzenden der Glaubenskongregation Müller angegriffen, der auch seinerzeit von Hans Küng angegriffen worden ist, weil dieser verkündet hatte, man würde keine Änderung in Sachen Zugang zur Kommunion akzeptieren. Und Maradiaga hat in Bezug auf Müller folgende Worte gesagt. Zuerst hat er ihn definiert als „Professor der deutschen Theologie“ und damit bewusst auch auf Ratzinger angespielt und zweitens folgende Worte von sich gegeben: „In der Mentalität Müllers gibt es nur richtig und falsch. Fertig. Ich hingegen bin der Meinung, Bruder, in der Welt muss es auch mehr geben und man sollte flexibel sein.“

Das ist also die Art und Weise, wie man in Südamerika den Katholizismus wahrnimmt, was sicherlich eine andere Art und Weise ist, als er in Italien wahrgenommen wird oder auch in den USA, wo der Katholizismus im Wachsen ist. Man muss auch hinzufügen, dass einige der Probleme der argentinischen Kirche die Folgeerscheinungen der Papstwahl waren.

Der apostolische Nuntius in Argentinien, Monsignor Adriano Bernardini, hat anlässlich des Festes des Heiligen Petrus am 22. Februar 2011 eine feurige Moralpredigt gehalten. Diese wurde fünf Tage später in den Medien folgendermaßen folgendermaßen tituliert: „Der Nuntius des Papstes in Argentinien verteidigt den Papst vor den Antipäpsten ohne ein Mindestmaß an Diplomatie.“ Effektiv hat dieser Nuntius in Buenos Aires, wo auch Bergoglio einer der Erzbischöfe war und auch Präsident der Konferenz der Bischöfe in Argentinien, sich gegen jene Kritiker gerichtet, die den Papst attackiert haben.

Und es gibt hier eine bestimme Kontinuität, es wurde Paul VI. kritisiert und bekämpft, und es wurde auch Johannes Paul II. bekämpft, weil er sich nicht den Marxistischen Kreisen öffnen wollte, und es wurde auch dann in der Folge Benedikt XVI. bereits kurz nach seiner Wahl heftigst bekämpft. Und Bernardini sagt zu dieser Kritik gegenüber Benedikt, dass man Jahr für Jahr gemerkt hätte, dass Theologen, Geistliche und Kirchengruppen immer weniger anerkennen wollten, dass es eine objektive Doktrin gebe. Hier nimmt er auch Bezug auf die sogenannte Diktatur des Relativismus, welche Benedikt immer wieder angesprochen hatte.

Und er unterscheidet hier zwischen Klerikern, die eine Krisis erleben würden, die immer weiter an Profil verlieren und andererseits zwischen Gläubigen, die eigentlich immer mehr an das Papsttum, an die Kirche glauben wollen, weil sie in diesem hoffnungsvollen Papsttum Benedikts eine wirkliche Wahrheitsvermittlung finden. Für Bernardini sind also jene Gläubigen, die auch weiterhin beten, die in die Messe gehen, die die Sakramente für sich beanspruchen und den Rosenkranz beten, die wirkliche Hoffnung, weil sie noch Hoffnung haben in das Papsttum.