Kapitel 19

Der inkomplette Gedanke

Man sagt, dass Pater Bergoglio ein leidenschaftlicher Leser der Schrift von Alessandro Manzoni „I Promessi Sposi“ war und ist. Manzoni schreibt an einer Stelle, dass viele den eigenen Kopf mit dem Himmel verwechseln würden. Das erinnert mich auch an gewisse Priester, Intellektuelle und modernistische Theologen sowie Erneuerer, welche mehr mit den ideologischen Momenten auf Tuchfühlung gehen als mit der Schönheit der katholischen Doktrin.

Sicher, Bergoglio hat Recht, wenn er sagt, dass die Begegnung mit Christus vor allem eine Begegnung mit Menschen ist, welche sich in der christlichen Gemeinschaft befinden, und nicht eine Befassung mit Dekreten wie jene mit dem Konzil von Nicäa. Die Doktrin ist aber die Intelligenz des christlichen Lebens. Ohne die Doktrin ist es unmöglich, das Evangelium richtig zu verstehen. Die Botschaft von Bergoglio riskiert, als eine Befreiung in Bezug auf die Doktrinen aufgefasst zu werden.

Man muss auch überrascht sein, dass ein Jesuit, der aber Papst Bergoglio ist, auch angekündigt hat, man müsse jetzt einen inkompletten Gedanken haben. Es reicht nicht einmal, dass man tolerant ist gegenüber jenen, die diesen inkompletten Gedanken haben, nein, er sagt sogar: Man muss einen solchen haben. „Der Jesuit muss eine Person des nichtvollkommenen Gedankens sein, des offenen Gedankens.“ So hat er es in einem Interview mit Pater Spadaro erklärt. Zudem hat er es als eine Deformation bezeichnet, als die Jesuiten ein Leben gelebt haben, in welchem sie einen geschlossenen Gedanken, einen rigiden (starren, dogmatischen) Gedanken verfolgt haben.

Was bedeutet jetzt dieser nichtvollkommene Gedanke? Man versteht, dass man beunruhigt sein muss. Zum Beispiel schreibt er in Evangelii gaudium, dass viele von einer monolitischen Doktrin träumen würden. Und er fügt hinzu: „Diese Orthodoxie, der man gelegentlich zuhört, entspricht nicht dem Evangelium Christi.“

Was soll man aber tun? Soll man eine Sprache wählen, die nicht orthodox ist? Man hat wohl noch nie einen Papst gesehen, der die Orthodoxie derart ablehnt. Papst Johannes, der Papst des Konzils, hat z.B. gesagt: „Von allen Bösartigkeiten, welche das Individuum, die Völker, die Nationen vergiften, ist die Ignoranz über die Wahrheit die wichtigste, nicht nur die Ignoranz, sondern auch die Geringschätzung gegenüber dem Wahren. Von hier aus ist diese Ignoranz in soziale Strukturen eingedrungen und hat grobe Schäden hinterlassen.

Alle sind deshalb aufgerufen, die Doktrin des Evangeliums zu umarmen. Wenn man diese verwirft, dann werden Fundamente in Frage gestellt: der Wahrheit, der Aufrichtigkeit und der Zivilisation. Diejenigen, welche in Schreiben sprechen und wirken, indem sie Popularität der Völker suchen, der Jugendlichen, diese ignorieren das Wahre und sie werden nie das Heil finden.“

Papst Bergoglio scheint hingegen nicht die Verteidigung der Wahrheit und des Evangeliums als seine Aufgabe zu sehen. In einem Treffen vom 6. Juni 2013 mit Religiösen aus Lateinamerika sagt er, man müsse neue Horizonte anstreben.

Es scheint, dass der Kuriendienst von Bergoglio etwas ist, das der Doktrin entgegengesetzt ist. Kardinal Müller, Präfekt der Glaubenskongregation, hat einmal gesagt: „Es handelt sich um ein Missverständnis, so, als ob die Doktrin nur etwas für Spezialisten und Theologen wäre. Nein, die Doktrin gibt uns neben dem Wort Gottes die Wahrheit und eine authentische Wahrheit über das Leben.“

Es ist überraschend und beunruhigend, wenn der heutige Papst sogar Kirchenleute aufruft, nicht gemäß der Doktrin zu handeln. Der Heilige Franz von Sales hat einmal gesagt: „Die Ignoranz der Kirchenleute ist mehr zu fürchten als das Böse. Mit dieser Ignoranz verliert man nicht nur sich selbst, sondern auch das Priestertum. Bergoglio glaubt, dass man, um zu evangelisieren, eine Sprache braucht, die nicht orthodox ist und in welcher die Doktrin an die zweite Stelle rückt.

Der Heilige Paulus, der die erste Evangelisierung vollzogen hat, hat eine große missionarische Aufgabe bewältigt. Und er war sehr orthodox. In seinem Brief an die Römer oder im ersten Brief an die Korinther wird das ganz klar zum Ausdruck gebracht. Auf jeden Fall hat er mit seinem Wirken die heutigen Politically-correctness-Regeln gebrochen.

Will Bergoglio den Heiligen Paulus für sein orthodoxes Wirken verurteilen oder den Heiligen Franziskus, dessen Name Bergoglio trägt? Dieser hat nicht evangelisiert, indem er von Schmetterlingen gesprochen hat. So hat der Kardinal Biffi bei dem Fest in Assisi 2004 das Wirken von Franziskus revue passieren lassen, wo er ihn als einen großen Mann Gottes bezeichnet hat, der sich total und absolut dem Evangelium ausgeliefert hat, ohne Anpassung an die dominierende Mentalität. Heute würde man den Heiligen Franziskus wohl durch die Medien zensieren, ihn als Fanatiker, Fundamentalisten und Doktrinären und Reaktionären darstellen.

In dem Brief, den der Heilige Franziskus hat an die Herrscher dieser Welt geschrieben, ruft er dazu auf, dass die Gläubigen sich vollkommen dem Wort Gottes anvertrauen sollen. „Und um so mehr die Mächtigen dieser Welt sich dagegen erheben werden, desto mehr werden sie in der Hölle leiden müssen, und wer nicht das Wort Gottes derart konsequent vertritt, der wird sich am Tage des Urteils vor Gott rechtfertigen müssen.“

Das alles scheinen nicht die gleichen Sachen zu sagen, welche z.B. der Papst Franziskus in verschiedenen Stellungnahmen gesagt hat. Auch der Heilige Franziskus würde wohl in jene Kategorien hineinfallen, welche Bergoglio bezeichnet als jene, die übertrieben eine doktrinäre Sicherheit anstreben. Es gibt auch einen Brief vom Heiligen Franziskus an die Priester. Dort ruft er sie auf, dass sie nicht soziale Aktionen setzen sollen oder sich dem Neuen öffnen, sondern sie sollen sich dem Heiligen Leib Christi, dem Herrn und Jesus vollkommen zuwenden. Man scheint manchmal in solchen Worten auch Benedikt herauszuhören.

In der Schrift Regula non bollata ruft der Heilige Franziskus dann seine Patres dazu auf, dass sie auch unter den Sarazenen und den Nichtgläubigen das Zeugnis Christi und seines Martyriums verbreiten. Für ihn war die Konversion der Weg des Heiles. Er hatte keinen unvollkommenen Gedanken.

Genauso war der Heilige Ignatius von Loyola, der Gründer der Jesuiten, ein rigoroser Anhänger der Orthodoxie. Dieser hat geschrieben: „Die Anhänger und Prediger der Häresie müssen mit großer Schuld belastet werden.“ In der Begegnung mit den Protestanten war er wahrscheinlich zu drastisch, wenn er sagt: „Diejenigen, welche den Häretikern mit einem Verhalten begegnen, das gleich ist wie die Begegnung mit den Evangelisten, muss eine hohe Strafe zahlen, denn es geht nicht an, dass die Feinde des Kreuzes den Evangelisten gleichgesetzt werden. Die Häretiker müssen als solche bezeichnet werden. Denn man kann ein moralisches Gift nicht mit einer religiösen Etikette überdecken.“

Diese harten Worte sind auch darauf zurückzuführen, dass gerade eben das protestantische Schisma begonnen hatte. Aber es ist ein weiter Sprung, um von dieser vielleicht überharten Reaktion vom Heiligen Ignatius zu totalen Gegensätzen zu kommen, welche Bergoglio verfolgt.

Der richtige Weg ist jener, den Ratzinger verfolgt hat. Effektiv haben alle Großen der Kirche immer eine orthodoxe Sprache verfolgt, z.B. Pater Pio, Don Bosco, Mutter Theresa, Maximilian Kolbe, Johannes Paul II., Don Giussani oder Joseph Ratzinger. Die Wahrheit vergessen oder als okkult darstellen, hilft nicht, um dem missionarischen Auftrag der Kirche zu folgen.

Man hat dann bereits in der vorkonziliären Phase der Kirche gesehen, dass Gespräche und Diskussionen geführt wurden, die nicht komplett orthodox waren und die vielleicht diesen nichtvollkommenen Gedanken von Bergoglio am nächsten kommen.

Paul VI, ist während seines ganzen Pontifikats wegen dieser Vorfälle in jenen Jahren beängstigt gewesen. Er schreibt: „Auf dem Spiel steht der Glaube. Was mich beunruhigt, ist, dass sich in der katholische Welt ein nichtkatholischer Glauben auszubreiten scheint. Und dieser Gedanke kann stärker werden und dominierend werden. Er kann aber nie den Gedanken der Kirche selbst darstellen.“

Und die Tragödie des Vorkonzils hat auch Johannes Paul gleich nach seiner Wahl bewegt, wenn er sagt, dass die Christen heute zu einem großen Teil konfus sind und auch enttäuscht, weil sie dem intellektuellen und moralischen Relativismus ausgesetzt sind. Sie werden in Versuchung gebracht vom Atheismus, vom Agnostizismus, vom Illuminismus und von einem soziologischen Christentum ohne Dogmen und ohne objektive Moral.“

Ist das dieser Relativismus vielleicht, der unvollkommene und offene Gedanke, den man heute setzen will? Will uns die Kirche wirklich in eine solche Nacht hineinstürzen.