Kapitel 22

Der Antepapst

Es gibt ein kurioses Phänomen. Die ordinäre Charakteristik der Jesuiten war die Gefolgschaft des Papstes und sie sind seit damals zum sogenannten gewählten Korpus des Papstes geworden. Dann sind die Sachen aber irgendwann anders geworden, Nach dem Konzil sind die Jesuiten nicht mehr sie Lösung, sondern sie sind das Problem geworden.

Und wenn man innerhalb der Kardinäle jemanden finden will, der nicht mit dem Papsttum übereinstimmt, dann muss man den Fall des Jesuiten Carlo Maria Martini anschauen. Wie lässt sich das Verhalten von Martini rechtfertigen, der eigentlich verpflichtet wäre, das Papsttum in der Öffentlichkeit zu verteidigen, wie es die Jesuiten vorschreiben. Er hat es auf eine sehr eigenartige Weise gemacht. Man kann es sehen im Interview von Georg Sporschill mit dem Titel „Conversazioni notturne a Gerusalemme — Nächtliche Konversationen in Jerusalem“, welches im Verlag Mondadori 2008 veröffentlicht wurde. Kardinal Martini wurde gesagt, dass man vielfach die Meinung hätte, dass es sich bei ihm aufgrund seiner offenen Mentalität um einen Antipapst handeln würde. Martini sagte daraufhin: „Wenn schon, dann bin ich ein Antepapst, ein Vorpapst, welcher das Papsttum vorbereitet.“ Das steht im Widerspruch zum Sein und Wesen der Jesuiten. Man kann aber diese Aussage von Martini gegenüber einem zukünftigen Papsttum auch so auffassen, dass er zwar dem künftigen Papsttum treu ist, in diesem Sinne aber dem heutigen Papsttum untreu werden kann.

Aber wie kann es sein, dass bei den Jesuiten derartige Meinungen vertreten werden? Dieser Traum vom künftigen Papsttum ist sicherlich nicht im Jesuitentum geboren. Man findet den Gedankengang zum ersten Mal um das Jahr 1800 bis 1900 herum im modernistischen Umfeld. Dort gab es nicht nur Visionen, was das Papsttum betreffen würde, sondern auch bestimmte Träume, welche mystische, progressistische und modernistische Kreise in Bezug auf eine künftige Revolution in Rom geträumt haben. In ihren Träumen ging es um eine evangelische Konversion des Papsttums.

Der Chefdenker dieses modernistischen Kreises Ernesto Bonaiuti hatte bereits gesagt, dass eine Reform der Kirche nicht von unten oder von außen kommen könne, sondern sie müsse von oben kommen, indem die Köpfe und die Spitzen des Vatikans eine Transformation vollziehen vom Katholizismus zum Protestantismus. Also nicht den Aufstand gegen Rom, sondern mit Rom und über Rom, vielleicht über den pastoralen Weg, in der Realität aber, indem man das alles völlig auf den Kopf stellt, nicht von unten, sondern von oben. Das war der Traum von einem modernen Papsttum, wo man diesen Terminus so verstehen muss, wie ihn der Heilige Pius X. verstanden hat, als die Synthese aller Häresien.

Es gibt einen anderen Träumer, der jesuitische Theologe Karl Rahner, der für den einen Teil der Kirche den Hauptfeind Nummer eins dargestellt hat, während er für den anderen Teil der katholischen Welt und für das theologische Etablissement zum absoluten Leuchtturm wurde.

Lehrer dieses Jesuiten war Martin Heidegger, einer der meist diskutierten Denker des Zwanzigsten Jahrhunderts. Rahner wurde als der einflussreichste Theologe nach dem Konzil bezeichnet. In der Kirche der letzten Jahrzehnte konnten die Theologen alles in Frage stellen, die Fleischwerdung Jesu, die Auferstehung Jesu, die Wunder Jesu. Was aber nicht in Frage gestellt werden darf, das ist Rahner selbst, so wie es auch die Franziskaner der Immacolata erfahren haben, welche Rahner kritisiert haben und dann mit dem Antritt Bergoglios die Strafe bekommen haben.

Der große Theologe Leo Scheffcyk, welcher durch Johannes Paul II. zum Kardinal gemacht werden sollte und den Ratzinger als seinen Freund und Kollegen bezeichnet hatte, hat den Traum von Rahner in seiner Schrift La Chiesa beschrieben. Nach der Vision von Rahner müsse man das doktrinäre Primat des Papstes in Zukunft in einer anderen Art und Weise sehen. Der Papst müsse bei seiner Doktrin von den Ansichten beginnen, welche heute in der Kirche vorherrschend sind. Immer dann, wenn der Papst einen Rahmen setzen wolle, müsse er vorerst alle Meinungen anhören. Scheffcyk schreibt dann weiter, dass nach der Infragestellung der päpstlichen Doktrinen bei Rahner ein zweiter Schritt folge, nämlich dass der Heilige Stuhl all jene Pfarrer der anderen evangelischen Glaubensgemeinschaften anerkennen müsse, was im Denken Rahners wohl nur folgerichtig ist. Und das sei die Erneuerung der Kirche.

Rahner hat viele Kirchenleute beeinflusst und unter ihnen sind Carlo Maria Martini, Karl Lehmann, Hans Küng, Walther Kasper, um einige zu nennen. Bergoglio ist hingegen ein Schüler gewesen von Padre Juan Carlos Scanone, Jesuit und selbst Schüler von Karl Rahner und Vertreter jener Befreiungstheologie, welche für Argentinien charakteristisch war. Wir haben also einen Papst, der sich im rahnerschen Umfeld bewegt.

Am interessantesten ist gerade Kardinal Martini, welcher die Kandidatur von Bergoglio bereits 2005 gegen Ratzinger angeregt hat.

„Acht Jahre später, 2013,“ so schreibt Sandro Magister, „waren es immer noch die Martini-Anhänger, welche die Wahl von Bergoglio zum Papst wollten, dieses Mal mit Erfolg. Und jetzt sehen sie diesen Traum von Martini Wirklichkeit werden. Das hat auch der Biograph von Martini, welcher ein großer Anhänger desselben ist, nämlich Marco Garzonio, so geschrieben, aufgrund einiger Interviews.

Franziskus hat dem Erzbischof von Mailand, welcher dieses Bistum in schwierigen Jahrzehnten geführt hat, eine große Anerkennung ausgestellt. Weil dieser Martini seit Jahren ein Papsttum angeregt hat, welches ein Modell einer synodalen Kirche vorsieht, wo der Papst nicht als absoluter Monarch herrscht, sondern wo er dient und wo ihm Bischöfe und Kardinäle auch dabei helfen, dass er dieser Kirche als Diener vorsteht, nicht als absoluter Herrscher, und wo er als Bischof von Rom sich dem interreligiösen Dialog zuwendet, ohne irgendwelche hegemonialen Ansprüche zu erheben.

Martini glaubte über Jahrzehnte an diesen Traum und jetzt mit Bergoglio scheint er Realität werden zu können.“

Wir werden sehen, welche diese Inhalte waren, welche Martini im neuen Papsttum gesehen haben wollte und welche auch dazu geführt haben; als Oppositionsvertreter gegen Johannes Paul, II., Benedikt, XVI. und Paul VI. für die Schrift Humanae Vitae aufzutreten. Er hat es vor allem in seinen letzten Büchern und Interviews klar auf den Punkt gebracht, wo er seine Gedanken klar ausdrücken konnte. Es hat sich auch bereits während seines Erzbistums angekündigt, wo er den Lehrstuhl der Nichtgläubigen angeregt hat.

In der Schrift „Nächtliche Konversationen in Jerusalem“ zum Beispiel lässt uns Martini wissen, dass es viele Wege gebe, welche gleichwertig zu betrachten seien.

„Ich wäre glücklich,“ so sagt Martini, „wenn ich Katholik bin, und ich bin genauso glücklich, wenn der andere ein Protestant ist oder ein Muslim. Diese verschiedenen religiösen Familien gibt es und braucht es, um möglichst vielen Menschen den Zugang zu Gott zu ermöglichen. Ein großes Modell ist für mich auch Mahatma Gandhi. Er hat als Hinduist den Weg Gottes gewählt.

Alle Kirchen versuchen, das Gute in der Welt zu erreichen, und auch der Buddhismus und der Yoga-Glaube sind wunderbare Wege, um ein spirituelles Leben einzuschlagen. Zudem könne man Gott nicht als katholisch auffassen, so Martini.“

Das alles, muss man Martini entgegenhalten, ist eine Konfusion. Denn katholisch bedeutet gerade universell. Martini sagt aber auch, er würde auch Atheisten nichts entgegensetzen. Wortwörtlich „Ich habe nichts, was ich ihm entgegenhalten sollte, oder auch nichts, womit ich ihn überzeigen wollte.“

Wenn man hört, dass Gott nicht katholisch ist, dann fällt einem natürlich auch Bergoglio ein. Es sind aber sehr viele Ideen, die Bergoglio von Martini aufgegriffen hat. So hat Martini auch gesagt, dass die Idee, dass Geistliche nicht heiraten dürfen, aus dem Mönchstum entwachsen ist, was so nicht stimmt. Oder dass er neue Antworten wollte auf die Kommunion für die Geschiedenen und Wiederverheirateten.

Es scheint, dass Bergoglio dieses Büchlein von Martini wie seinen Wegweiser mit sich trägt. So auch, als Martini gefragt wurde, wie er die Homosexualität sieht. Er hat geantwortet, „In meinem Bekanntenkreis gibt es homosexuelle Leute, die geschätzte Leute sind. Mir wäre nie in den Sinn gekommen, sie deswegen zu beurteilen.“

Auch das erinnert sehr an die Worte von Bergoglio, der in Bezug auf Homosexuelle gesagt hat, „Wer bin ich, um zu urteilen.“

Martini hat auch gesagt, dass er sich wegen nichts beunruhige, was im Wandel ist, denn er denkt, dass auch eine falsche Wahl besser wäre als gar nicht zu wählen.

Camillo Langone hat in der Zeitung Il Foglio am 17. November 2008 diese Wortwahl kommentiert. Er schreibt: „Diese sehr unglückliche Wortwahl ist noch unglücklicher, weil sie in dem Buch in einem Kontext steht, nämlich im Kontext der roten Brigaden.“ Das waren Gruppierungen, die gefehlt haben.

Auch überraschend sind die Haltungen Martinis zum Islam. Wenn er nämlich sagt, dass Terroristen sich nicht auf den Koran beziehen könnten.

Bergoglio steckt in allen diesen Seiten drin und auch in den letzten Interviews von Martini. Bergoglio ist die Realisierung des Traumes von Martini und vielleicht auch des Traumes von Rahner und Bonaiuti.

Pater Sporschill hat dazu geschrieben: „Mit Franziskus, glaube ich, ist diese Realität so weit gekommen, dass sie die Phantasie überholt hat. Der Papst der Zukunft ist also gekommen und die Revolution ist bereits im Gange. Die Welt jubelt ihm zu, alle Medien jubeln ihm zu, und es sind vor allem die antikatholischen Medien. Alle weltlichen Mächte stehen hinter ihm.“

(12:36) Stellt der weltweite, weltliche Erfolg von Bergoglio also den Triumph oder den Fall der Jesuiten dar? Es ist Martini selbst, der eine Antwort gibt. Er sagt: „Eines Tages hat der Hl. Ignatius behauptet, ihn würde der Orden erst dann beunruhigen, wenn er nicht mehr verfolgt wird. Seine Brüder haben ihn gefragt, was das zu bedeuten habe. Der Hl. Ignatius sagte: „Dann, wenn wir nicht mehr andere reizen, dann ist unsere Mission gescheitert.““

Deshalb hätte der Hl. Ignatius heute auch große Besorgnis.