16.08.2013

Konklave 2005: „Aktion Bergoglio“ zur Verhinderung Joseph Ratzingers

http://www.katholisches.info/2013/08/16/konklave-2005-aktion-bergoglio-zur-verhinderung-joseph-ratzingers/

 (Rom) Das „geheime Tagebuch“ eines Kardinals zum Konklave von 2005, über das Katholisches.info bereits 2011 berichtete, stößt derzeit auf neues Interesse, vor allem im spanischsprachigen Raum. Es enthält ebenso spannende wie brisante Informationen über jenes Konklave, aus dem Papst Benedikt XVI. hervorging. Kernpunkt des Tagebuches ist der Versuch einer Gruppe von progressiven Kardinälen, darunter der Erzbischof von Mailand Carlo Maria Martini, der Erzbischof von Brüssel-Mecheln Godfried Danneels und der Bischof von Mainz, Karl Lehmann eine Gegenkandidatur aufzubauen, um die Wahl des damaligen Präfekten der Glaubenskongregation und Dekans des Kardinalskollegiums, Joseph Kardinal Ratzinger zu verhindern.

Das Konklave wurde so zu einem einzigen Wettkampf zwischen zwei Kardinälen: zwischen dem Favoriten Joseph Kardinal Ratzinger, der schließlich im vierten Wahlgang zum Papst gewählt wurde, und dem argentinischen Kardinal Jorge Mario Bergoglio, der 2013 Benedikts Nachfolger werden sollte.

Das Interesse eines Teils der Progressiven hatte sich anfangs auf den Mailänder Erzbischof Kardinal Martini konzentriert, dessen Gewicht in der Kirche sich jedoch als jahrelang gehegtes, konkret aber fundamentloses Medienkonstrukt erwies. Die Stimmen Martinis flossen im zweiten Wahlgang zu Bergoglio, auf den bereits ein anderer Progressiver aufmerkam geworden war, und der nun endgültig zum eigentlichen Gegenspieler Ratzingers wurde.

Kardinal Ratzinger erhält im ersten Wahlgang auf Anhieb 47 Stimmen, Martini lediglich neun, Bergoglio aber zehn und positioniert sich damit an zweiter Stelle. Der Erzbischof von Buenos Aires, Jesuit wie Martini, gilt in dogmatischen Fragen als „orthodox“, in der Sexualmoral aber als „flexibel“ („‘Sie wollen die Welt in ein Kondom stecken‘, scherzt er privat“, so Infovaticana). Auf den argentinischen Kardinal konzentriert sich der Block der mehr oder weniger progressiven Mitglieder des Kardinalskollegiums und jener, die gegen Kardinal Ratzinger sind. Die Kardinäle des deutschen Sprachraums spalten sich zwischen den beiden Kandidaten auf, wie aus den Reaktionen unmittelbar nach der Wahl unschwer erkennbar war.

Das Ziel der „Aktion Bergoglio“? Die Parole lautete: Ratzinger verhindern. Den progressiven Kardinälen war bewußt, daß es nach dem langen Pontifikat von Papst Johannes Paul II. keine Mehrheit für einen progressiven Kandidaten geben konnte. Sie zielten daher zunächst darauf ab, eine ausreichend starke Minderheitengruppe zu konstituieren, um mit dieser Sperrminorität (ein Drittel plus eine Stimme) jedenfalls die Wahl von Joseph Kardinal Ratzinger zu verhindern. Die Verhinderung Ratzingers hätte die Suche nach einem „Kompromißkandidaten“ eröffnet. Beim zweiten Wahlgang wählten 65 Kardinäle Ratzinger und 35 Kardinäle Bergoglio. Kardinal Martini zeigte sich hocherfreut und gab die Parole aus: Ratzinger sei nicht geeignet, die Voraussetzungen zu erfüllen, um ausreichend Konsens zu finden. Der dritte Wahlgang besagte: Ratzinger 72, Bergoglio 40. Das Ziel der Sperrminorität schien erreicht. Martini kündigte kryptisch eine „große Neuigkeit“ für den nächsten Tag an. Der Jesuit Martini hoffte auf eine Wiederholung des Ergebnisses beim nächsten Wahlgang. Es hätte, so seine Kalkulation, Kardinal Ratzinger bewogen, seine Bereitschaft zurückzuziehen, um das Konklave nicht zu blockieren. So war es Usus in der Kirche.

Nicht Ratzinger begann jedoch zu zögern, sondern Bergoglio. Er deutete mehrfach an, daß er, sollte sich sein Ergebnis nicht verbessern, zurückziehen werde. Darauf verließen einige seiner Neuwähler des dritten Wahlgangs sofort das sinkende Schiff und wählten im vierten Wahlgang den Kardinalsdekan Ratzinger, der die Zwei-Drittel-Mehrheit übersprang und mit 84 Stimmen zum neuen Papst gewählt wurde. Bergoglio hingegen sank auf 26 Stimmen ab.

„Ein Kardinal scheint gegen alle seine Versprechen seine Zunge nicht im Zaum gehalten und berichtet zu haben, was geheim bleiben müßte“, so der spanische Kirchenhistoriker und katholische Blogger Francisco de la Cigoña. „War es wirklich so? Hat sich das jemand erfunden? Nur Gott und die noch lebenden Kardinäle jenes Konklaves wissen es. Das sind immerhin noch etliche. Ich lege meine Hand nicht ins Feuer für diese Information, aber – um ehrlich zu sein – sie ist sehr interessant.“

Aus diesem Grund empfehlen wir, den Bericht von Katholisches.info über Das „verbotene“ Tagebuch des Konklave 2005 nachzulesen.

 

 

 

Das „verbotene“ Tagebuch des Konklave 2005

Sonntag, 17. April 2005

http://www.katholisches.info/2011/07/28/das-%E2%80%9Everbotene%E2%80%9C-tagebuch-des-konklave-2005/

„Am Nachmittag bezog ich mein Zimmer in der Casa Santa Marta. Als ich mein Gepäck abgestellt hatte, versuchte ich die Fensterläden zu öffnen, weil es im Raum so dunkel war. Es gelang mir nicht. Ein Mitbruder wandte sich wegen desselben Problems an die Schwestern, die das Haus führen. Er vermutete, daß es sich um einen technischen Fehler handelte. Die Schwestern erklärten ihm, daß die Fensterläden versiegelt wurden. Konklaveklausur … Eine neue Erfahrung, für fast alle von uns. Von 115 Kardinälen haben nur zwei bereits an einer Papstwahl teilgenommen.“

Mit diesen Worten beginnt das „verbotene“ Tagebuch des Konklave, das am 19. April 2005 zur Wahl von Papst Benedikt XVI. führte. Die vertraulichen Notizen schrieb ein anonymer Kardinal nieder, sobald er nach den Abstimmungen in der Sixtinischen Kapelle in sein Zimmer zurückgekehrt war. Die Aufzeichnungen wurden in der renommierten Monatsschrift für Geopolitik „Limes“ veröffentlicht. Die Kardinäle und alle Mitarbeiter, die während des Konklave mit den wählenden Kardinälen in Kontakt treten, sind zur strengsten Verschwiegenheit über den Wahlhergang verpflichtet. Im Medienzeitalter fiel es dem namenlos bleibenden Kardinal offensichtlich schwer, sich daran zu halten. Entsprechend schnell fanden seine Notizen den Weg in die Öffentlichkeit.

Die Aufzeichnungen erlauben, Schritt für Schritt die Wahlgänge trotz des päpstlichen Willens, den Ablauf eines Konklaves geheimzuhalten, zu rekonstruieren. Sie zeigen, daß Kardinal Ratzinger von Anfang an der aussichtsreichste Kandidat war. Der 78jährige Dekan des Kardinalskollegiums und Präfekt der Glaubenskongregation fand umgehend die Unterstützung einer starken und entschlossenen Gruppe. Das Tagebuch widerlegt die nach der Wahl vielfach wiederholte Behauptung, der ehemaligen Erzbischof von Mailand, Kardinal Carlo Maria Martini, sei bei der Wahl der „Gegenspieler“ Ratzingers gewesen und habe eine Rolle gespielt. Bestätigung findet hingegen, daß der einzige wirkliche „Konkurrent“ der Erzbischof von Buenos Aires, Kardinal Jorge Mario Bergoglio, war, ein Jesuit wie Martini. Kardinal Bergoglio erhielt mit bis zu 40 Stimmen das Vertrauen von mehr als einem Drittel der Wahlmänner.

Montag, 18. April 2005

Doch der Reihe nach: Das insgesamt nur 24 Stunden dauernde Konklave begann am Nachmittag des 18. April 2005, einem Montag. Nachdem die 115 Purpurträger in die Sixtinische Kapelle eingezogen waren, leisteten sie den Verschwiegenheitseid und hörten eine Meditation des über 80jährigen Kardinals Spidlik, der nicht stimmberechtigt war.

Beginn des ersten Wahlgangs. Die rechteckigen, doppelt gefalteten Stimmzettel werden ausgehändigt. Im oberen Teil tragen sie die Aufschrift: „Eligo in Summo Pontificem“ (Ich wähle zum Höchsten Pontifex), im unteren Teil ist der Platz weiß, um den Namen des Ausgewählten eintragen zu können.

Jeder Kardinal nähert sich der Metallurne, spricht eine feierlicher Formel und wirft seinen Stimmzettel ein. Der erste Wahlgang endet wenige Minuten nach 19 Uhr. Niemand erwartet sich bereits die Wahl eines neues Papstes. Das Ergebnis ist durchaus überraschend: Kardinal Ratzinger erhält sofort 47 Stimmen (40,9 Prozent). An zweiter Stelle folgt unerwartet Kardinal Bergoglio mit 10 Stimmen, Kardinal Martini erhält 9. Auf Kardinal Camillo Ruini, den Bischofsvikar von Rom, entfallen 6 Stimmen, auf Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano 4, auf den Erzbischof von Honduras, Kardinal Oscar Rodriguez Maradiaga 3 und auf Kardinal Dionigi Tettamanzi, Nachfolger Martinis als Erzbischof von Mailand 2 Stimmen. Mehr als 30 Stimmen verteilen sich als Einzelstimmen auf andere Kardinäle. Diese große Gruppe scheint abzuwarten, welche Gewichtungen aus dem ersten Wahlgang hervorgehen. Es steigt schwarzer Rauch aus der Sixtinischen Kapelle auf.

Das wichtigste Ergebnis ist das schlechte Abschneiden des “progressiven” Flügels im Kardinalskollegium. Er hatte sich auf Kardinal Martini geeinigt, vor allem mit der Absicht, das eigene Gewicht auszuloten. Das Ergebnis war ausgesprochen bescheiden. Die Kardinäle verlassen die Kapelle und begeben sich zum Abendessen. Die Gruppe, die Kardinal Ratzinger als künftigen Papst wünscht, konnte sofort einen deutlichen Erfolg verbuchen. Das unerwartete Ergebnis des Erzbischofs von Buenos Aires sorgt nicht minder für Gesprächsstoff. Der südamerikanische Purpurträger ist ausgesprochen zurückhaltend und scheut das Scheinwerferlicht der Presse. Nur ausgesprochen selten gibt er Interviews. Das erzbischöfliche Palais hatte er verlassen, um in einer kleinen, einfachen Wohnung zu leben. Seine Gestalt erinnert irgendwie an Papst Johannes Paul I.

Nach dem Abendessen finden zahlreiche informelle Treffen in „kleinen Gruppen von zwei, drei Personen statt, keine größeren Versammlungen. Wie in zahlreichen Hotels herrscht neben tausend anderen Verboten auch ein Rauchverbot. Der portugiesische Kardinal Jose Policarpo da Crux hält es nicht aus und verläßt das Gebäude, „um sich eine gute Zigarre anzuzünden.“

Dienstag, 19. April 2005

Am Morgen danach, Dienstag, den 19. April, kehren die 115 Purpurträger in die von Michelangelo mit Fresken ausgestaltete Sixtinische Kapelle zurück. Vor der Darstellung des riesigen Jüngsten Gerichts beginnt der zweite Wahlgang. Er dient dazu, die Zahl der verstreuten Stimmen zu lichten. Kardinal Ratzinger erhält mit 65 Stimmen (56,5 Prozent) eine deutliche Mehrheit. Da der erste Urnengang nur der Sondierung diente, fand der Präfekt der Glaubenskongregation aus dem Stand das Vertrauen einer Mehrheit des Kardinalskollegiums. Es fehlen allerdings noch 12 Stimmen zur Zwei-Drittel-Hürde, die für die Wahl während der ersten beiden Wochen des Konklaves vorgeschrieben ist. Auch Kardinal Bergoglios Anteil stieg erheblich. Auf ihn konzentriert sich das Votum von 35 Kardinälen. Die Stimmen Ruinis waren auf Ratzinger übergegangen. Martinis Stimmen auf Bergoglio. Sodano behielt hingegen seine vier Stimmen, ebenso Tettamanzi seine zwei. Erneut steigt schwarzer Rauch aus dem Kamin auf.

Um 11 Uhr desselben Morgens beginnt der 3. Wahlgang, wie es die Wahlordnung vorsieht. Das Ergebnis ist von Bedeutung. Auch die Stimmen für Tettamanzi und Sodano verschwinden. Es gibt nur mehr wenige verstreute Stimmen, dazu zählt eine für den kolumbianischen Kurienkardinal Dario Castrillon Hoyos. Kardinal Ratzinger erhält 72 Stimmen (62,6 Prozent) und nähert sich deutlich der vorgeschrieben qualifizierten Mehrheit. Auch Kardinal Bergoglio kann noch einmal seinen Stimmenanteil auf 40 Voten erhöhen.

Die Zustimmung für ihn reicht nicht aus, um realistische Aussichten zu haben, gewählt zu werden. Sie ist aber gerade ausreichend, um die Wahl jedes anderen Kandidaten zu blockieren. Zumindest zwei Wochen lang. Danach würde sich die Hürde von zwei Drittel auf die absolute Mehrheit von 50+1 reduzieren. Folge wären jedoch lange, zermürbende Tage gewesen, die durchaus Überraschungen bringen hätten können. An diesem entscheidenden Augenblick wäre bei verhärtenden Positionen ausschlaggebend gewesen, wer die stärkeren Nerven hatte. Theoretisch war Kardinal Ratzinger bereits gewählt. Die sich um ihn gescharte Mehrheit des Kardinalskollegiums hätte nur 30 weitere Wahlgänge durchwählen brauchen, bis sich laut Wahlordnung Papst Johannes Pauls II. die Wahlhürde senkt.

Kardinal Ratzinger, wie wahrscheinlich jeder andere Kandidat, wäre jedoch kaum für einen solch verbissenen Kampf zur Verfügung gestanden, während die Welt auf die Wahl eines neuen Papstes wartet. Sein Rückzug für einen solchen Fall kann keineswegs ausgeschlossen werden. Damit aber wäre das „Rennen“ wieder völlig offen. Mancher denkt, daß das Konklave eine unerwartete Wende nehmen und weder Kardinal Ratzinger noch Kardinal Bergoglio, sondern ein ganz anderer Kandidat als Papst aus der Sixtinischen Kapelle hervorgehen könnte und daß bereits ab dem nächsten Tag alles ganz anders sein wird.

Viele Kardinäle sind sich daher bewußt, daß dies der entscheidende Moment des Konklaves ist. In den folgenden Stunden finden eine Reihe von informellen Gesprächen statt, bevor es am Nachmittag zum 4. Wahlgang kommt. “Schon in der Sixtinischen Kapelle noch vor der Rückkehr nach Santa Marta zum Mittagessen erfolgen die ersten Gespräche. Unter den Purpurträgern, die die Wahl Kardinal Ratzingers erhoffen, herrscht große Besorgnis. Die Gespräche werden intensiver, der Aktivste ist Kardinal Lopez Trujillo …“. Kardinal Trujillo bemüht sich vor allem um die lateinamerikanischen Kardinäle. Er versucht, sie davon zu überzeugen, daß es keine wirkliche Alternative zu Kardinal Ratzinger gibt. „Morgen gibt es große Neuigkeiten“, habe Kardinal Martini mit einem sybillinischen Lächeln in der Mittagspause einem anderen Kardinal zugeflüstert.

Martini gehört zu jenen, die für den Morgen des nächsten Tages einen völligen Austausch der Kandidaten vorhersagt, falls auch die beiden für den Nachmittag vorgesehenen Wahlgänge zu keinem Ergebnis führen sollten. Damit die Wahl Kardinal Ratzingers weiter verhindert wird, müßten die Gruppe um Bergoglio weiterhin kompakt blockieren. Der Erzbischof von Buenos Aires zeigt ein leidendes Gesicht. Ein Kardinal meint, daß Bergoglio, sollte er gewählt werden, seine Wahl sogar ablehnen könnte. Taktisches Geplänkel?

Um 16 Uhr kehren die Kardinäle in die Sixtinische Kapelle zurück. Zu diesem Zeitpunkt steht das Ergebnis schon fest. Viele der Unterstützer Bergoglios sind zur Gruppe um Kardinal Ratzinger gewechselt, um das Konklave nicht unnötig in die Länge zu ziehen und das Heilige Kollegium zu spalten. Kardinal Ratzinger wird im 4. Wahlgang mit 84 Stimmen (73 Prozent) zum Papst gewählt. Er nimmt den Namen Benedikt XVI. an. Die Zustimmung für Kardinal Bergoglio fällt auf 26 Voten. Fünf Stimmen bleiben verstreut, eine fällt auf den amerikanischen Kardinal Bernard Law, den Erzbischof von Boston, der später zum Rücktritt gezwungen wird, weil er nicht ausreichend deutlich gegen Priester seiner Diözese vorging, denen Pädophilie vorgeworfen wurde.

Der letzte Eintrag im Konklave-Tagebuch des anonymen Purpurträgers lautet: „Auch Kardinal Ratzinger notiert sich auf einem Zettel die Stimmen während der Auszählung. Als er um 17.30 Uhr das Quorum von 77 Stimmen erreicht, herrscht in der Sixtinischen Kapelle ein Moment der Stille, auf den ein langer herzlicher Applaus folgt.“

Die Wahl Papst Benedikts XVI. mag kein Plebiszit gewesen sein, doch gehört sie zu den kürzesten Konklaves der Kirchengeschichte.