Bundeskanzler Adenauer

ein großer Beter und Fatimafreund

Vor 60 Jahren kehrten die letzten deutschen Kriegsgefangenen und Zivilpersonen aus Russland heim. Das ist das herausragende humane Ergebnis äußerst schwieriger Verhandlungen des Bundeskanzlers vom 9. bis 13. September 1955 in Moskau. Mit dieser Niederschrift wird im Jahr des Gedenkens 2015 der Versuch unternommen, vorrangig den Aspekt seiner christlichen Grundhaltung und Marienfrömmigkeit darzustellen. 'Spirituelle Mitstreiter' unterstützten ihn im Wissen um seinen sehnlichsten Wunsch, diese wichtige Mission erfolgreich zu erfüllen.

Die sowjetische Führung hatte die Bundesregierung am 7. Juni 1955 zu Verhandlungen über die Aufnahe diplomatischer Beziehungen eingeladen. In ihrer Zusage vom 12. August vertrat die Bundesregierung die Auffassung, dass auch die Frage der staatlichen Einheit Deutschlands und die Freilassung "derjenigen Deutschen, die sich gegenwärtig noch im Gebiet oder Einflussbereich der Sowjetunion in Gewahrsam befinden oder sonst an der Ausreise verhindert sind, zu besprechen ist. Eine alsbaldige Regelung dieser Frage wird vom ganzen deutschen Volk sehnlichst erwartet und als ein unerlässliches Element der Normalisierung seiner Beziehungen zur Sowjetunion betrachtet. "Lagen doch der Delegation 130.000 Briefe von Deutschen für dieses brennende Anliegen vor, die im Laufe der vergangenen zwei Jahren eingetroffen waren.

Vor Beginn der Reise war sich der Bundeskanzler völlig darüber im Klaren, dass die Verhandlungen durch große psychische Belastungen erschwert sind. Erst vor zehn Jahren war der vom Naziregime begonnene und vor allem gegen Russland grausam geführte zweite Weltkrieg beendet worden. Hinzu kommt die Tatsache, dass Ministerpräsident Bulganin bei der Eröffnungssitzung am 9. September als auch schon bei der Konferenz der "Großen Vier" (mit den Präsidenten Eisenhower/USA, Faure/Frankreich und Eden/Großbritannien) im Juli 1955 in Genf die Frage der Kriegsgefangenen ausgeklammert hatte. In jeder Gesprächsphase war dem Kanzler bewusst, für die Heimkehr vieler tausender Menschen zu kämpfen. Denn vom Ausgang seiner Verhandlungen hing ihr weiteres Schicksal ab und die verständlicherweise hochgesteckte emotionale Erwartung des deutschen Volkes.

Die gute Atmosphäre und gelockerte Stimmung der ersten zwei Tage dienten zum Kennenlernen, waren geprägt vom Besuch von Sehenswürdigkeiten und kulturellen Veranstaltungen. Man war nicht ohne Hoffnung auf einen konstruktiven Verlauf der weiteren Gespräche.

Am Sonntag, 11. September, waren keine offiziellen Termine. Für den Kanzler begann er mit einer Hl. Messe in der kleinen polnischen St. Ludwigskirche in der Nähe seines Hotels. Hier zeigte sich seine bekennende Religiosität auch als Kanzler. Für ihn war es ja bekanntlich selbstverständlich, regelmäßig den Sonntagsgottesdienst zu besuchen, wenn es die politischen Umstände zuließen. Beeindruckend ist die Aussage des mitgereisten evangelischen Journalisten Max Schulze-Vorberg:

Der Pfarrer hatte für den Bundeskanzler eine Art Bischofsstuhl bereit gestellt. Trotz seiner achtzig Jahre hat er den Sessel praktisch nicht benutzt. Während der Messe war er fast immer gekniet. Ich bin nicht katholisch - vielleicht ist mir das deshalb besonders aufgefallen.

Zu dieser Grundhaltung passt auch eine mündlich geäußerte Beobachtung, er habe in der Nacht vor den entscheidenden Gesprächen vor einer Statue der Fatima-Madonna gebetet, die sich in der französischen Botschaft befand. Die bevorstehenden riskanten Verhandlungen mit ungewissem Ausgang lasteten schwer auf ihm (ein Zusammenhang mit der Statue könnte vermutlich durch seine Freundschaft mit Kardinal Frings oder die Mitgliedschaft zur "Blauen Armee Mariens" sein; siehe spätere Textfolge). Am dritten Tag jedoch erlebte die Delegation eine herbe Enttäuschung.

Verhärtet hatte sich die Lage als Nikolai Bulganin - massiv unterstützt von Nikita Chruschtschow, wiederholt die Hauptfrage nach der Herstellung diplomatischer Beziehungen stellte. In dieser angespannten Situation bat der Bundeskanzler Prof. Carlo Schmid als Nichtmitglied der Regierung, in dessen Funktion als stellvertretender Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses und auch seitens der Opposition, das Ansinnen der Sowjets als nicht möglich zu erklären. Die sowjetische Seite blieb hartnäckig in Ihrer Forderung. Wenn es zu keiner Einigung in diesem Punkt käme "müsse man eben Abschied voneinander nehmen." Für den Bundeskanzler gab es nun - am Ende heftiger Diskussionen - nur noch den einzigen Ausweg, unverzüglich abzureisen. Er veranlasste, die Flugzeuge aus Hamburg für den nächsten Tag bereit zu stellen (das war ein Tag früher als geplant).

Offensichtlich hat die sowjetische Delegation von dieser internen Anweisung erfahren. Bulganin änderte seine Taktik, weil er sich keinen Misserfolg leisten konnte. Überraschend bat er Adenauer um eine Note, in der die Zustimmung zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen enthalten sein müsste. Unter dieser Voraussetzung seien alle Inhaftierten frei! Darauf gebe er sein Ehrenwort! Das war die Wende - geschehen am 12. September, dem Festtag "Mariä Namen"! Doch am vierten und letzten Verhandlungstag gab es erneut heftige Auseinandersetzungen über das Verhandlungsergebnis des Vortages. Die Vereinbarungen wurden von den Sowjets infrage gestellt. Erst als Adenauer eine schriftliche Erklärung zusagte, war man sich endgültig einig. Das war am 13. September (5. Erscheinungstag der Gottesmutter 1917 in Fatima). Am nächsten Tag, am Tag der Abreise, übergab dann Adenauer den so wichtigen Brief über die Bereitschaft zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen unter dem Vorbehalt noch anstehender demokratischer Bedingungen. Bulganin wiederholte sein Ehrenwort! Er hat es gehalten! Annähernd 10.000 Kriegsgefangene, und über 20.000 Zivilpersonen waren frei! Am 7. Oktober (Festtag "U.L. Frau vom Rosenkranz") trafen die ersten 600 Kriegsgefangenen im Grenzdurchgangslager Friedland bei Göttingen ein. Es waren erschütternde Szenen.

 

Gebetswache für erfolgreiche Verhandlungen

Etwa 2.000 km südwestlich von Moskau war eine Männergruppe während der deutschrussischen Gespräche im Schweizerischen Sachseln/Flüeli bei Luzern versammelt. In der Ranftkapelle, der Einsiedelei des hl. Bruder Klaus, beteten sie ununterbrochen Tag und Nacht vor ausgesetztem Allerheiligsten in geistiger Verbundenheit mit dem Friedensstifter um das Gelingen der Gespräche in Moskau, um den Frieden in der Welt, um die Aussöhnung der Völker und um die Bekehrung Russlands. Eingeladen dazu hatten Prälat Alois Stiefvater, Präses des Kath. Männerwerkes der Erzdiözese Freiburg im Breisgau, er war ein Freund des Bundeskanzlers und der Geschäftsführer der Gemeinschaft, Franz Nadler. Ihr Aufruf "Adenauer nach Moskau - Männer nach Sachseln" wurde angenommen. Darin schrieben sie an ihre Männer: "Wenn die Politiker in Moskau auf höchster Ebene verhandeln, müssen auch wir auf einer noch viel höheren Ebene mit Gott auf den Knien verhandeln und für einen guten Ausgang beten." Als Adenauer von dieser einmaligen Gebetsaktion erfuhr, bedankte er sich während eines Aufenthaltes im Schweizer Mürren. Sie reisten mit 30 Männern zur Bruder-Klaus-Kapelle. Der erfolgreiche Ausgang der Moskauer Verhandlungen motivierte die Männer, mit der sog. "Gebetswache" weiterzumachen. Sie fand ihre Fortsetzung unter dem Leitwort  "Aktion Oremus" auf dem Lindenberg bei St. Peter/Schwarzwald. Noch heute beten ca. 1.000 Männer (!) gruppenweise vom 1. Samstag im Januar bis zum Samstag vor dem 1. Advent um Versöhnung und Frieden in der Welt und für die Stärkung ihres Glaubens. Ein weiteres Anliegen ist die Erneuerung der Anbetung in den Gemeinden. Nach einem Bericht des Wallfahrtspriesters in Sachseln habe Adenauer vor seinem schweren Gang nach Moskau inkognito eine ganze Nacht lang am Grab des hl. Bruder Klaus gebetet, um sich Kraft für seine Gespräche zu holen. Auch sein Fahrer habe die Fahrt von Mürren nach Sachseln bestätigt.

 

Auszug aus dem Schreiben von Bundeskanzler Adenauer

"... wie ich höre, wollen die katholischen Männer der Erzdiözese Freiburg während meiner Reise nach Moskau bei Tag und Nacht in der Ranftkapelle, der Einsiedelei des schweizerischen Friedensheiligen Klaus von Flüe bei Sachseln in der Schweiz beten. Ich danke von Herzen für diese Hilfe... "     (Adenauer)

 

Adenauer und die Friedensbotschaft von Fatima

Nach der unverhofften Genesung von einer schweren Krankheit und dem Lesen einer Kleinschrift über die Marienerscheinungen 1917 in Fatima versprach Pfarrer Harold Colgan in Plainfield, New Jersey (USA) der Gottesmutter, den Rest seines Lebens besonders der Ausbreitung ihrer Botschaft zu widmen. 1947 gründete er eine Gebetsgemeinschaft in seiner Pfarrei. Als äußeres Zeihen des Versprechens der Gläubigen trugen sie ein blaues Band. Deshalb nannte er sie "Blue Army" (Blaue Armee). Sie sollte im Gegensatz zur russischen "Roten Armee' eine Armee Mariens sein. Unter Mitarbeit des bekannten amerikanischen Journalisten und Schriftstellers John Haffert wuchs die Gemeinschaft außergewöhnlich schnell. Ein großer Tag seines Lebens im Mai 1950 war die Privataudienz bei Papst Plus XII.. Im gleichen Jahr bereits, bei der ersten Pilgerfahrt nach Fatima, konnte eine Liste von 1 Million Betern hinterlegt werden. Im Laufe der nächsten Jahre wuchs die Zahl der Fatimafreunde zu einer weltweiten marianischen Gemeinschaft auf über 20 Millionen, verbreitet in 120 Ländern. 1951 kam die neue Bewegung nach Europa. Zuerst nach Deutschland in die nur tausend Seelen kleine Hunsrückpfarrei Beltheim. Dort wirkte Pfarrer Andreas Fuhs, Mitglied der Päpstlichen Marianischen Akademie. Unermüdlich und erfolgreich arbeitete er, zusammen mit den Johannes-Missionaren in Leutesdorf bei Neuwied, für die Verbreitung der Fatimabotschaft. 1954 waren es bereits über 80.000 Mitglieder. Unter ihnen war auch Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer. Offensichtlich hat ihn Kardinal Frings, ein Freund der Familie, zu diesem Schritt bewogen. Dem Kardinal war bekannt, dass schon in vielen Ländern die Fatimastatue durch Diözesen und Pfarreien getragen wurde, um den besonderen Schutz der Gottesmutter zu erflehen. Diese Idee begeisterte und beeinflusste ihn, die 'Peregrinatio Mariae' wie er sie nannte, auch in der Erzdiözese Köln durchzuführen; sie dauerte sieben Monate.

Ein erster personaler Höhepunkt in der relativ kurzen Entwicklungszeit der Bewegung in Deutschland war am 30. Mai 1954 die Verleihung des 1. Internat. Friedenspreises der "Blauen Armee Mariens" an Adenauer im Palais Schaumburg, dem Sitz des Bundeskanzlers. In seiner Laudatio würdigte ihr amerikanischer Gründer und Leiter Prälat Harold Colgan seine Verdienste gegen den gottlosen Kommunismus und für den Weltfrieden.

In seiner Dankesrede betonte der Bundeskanzler: "Wenn Sie sagen, dass wir mit geistigen Waffen gegen den Kommunismus kämpfen müssen und dass wir nur so einen dauernden Frieden erreichen können, haben Sie vollkommen recht. Ohne die Hilfe des Gebets, ohne die Hilfe von oben können wir das Böse nicht besiegen. Wenn wir alle zusammenhalten im Vertrauen auf Gott, dann können wir dieses Ziel erreichen."

Prälat Colgan wurde von Pfarrer Fuhs in seiner Funktion als erster Geistlicher Leiter in Deutschland begleitet. Nachdem Pfarrer Fuhs und seine Mitarbeiter in unermüdlicher Arbeit blühende Gruppen organisierten, beschloss der dafür gegründete Nationale Arbeitskreis im April 1968 eine Namensänderung. Aus "Blaue Armee Mariens" wurde das "Fatima-Weltapostolat U.L.F. in Deutschland e.V." Das erste Exemplar seines Buches "FATIMA und der Friede" widmete er dem Bundeskanzler.

Prälat Colgan überreicht am 30.5.1954 an Adenauer den 1. Internat. Friedenspreis der "Blauen Armee Mariens" - rechts Pfarrer Fuhs, Foto: KNA

Diese eindrucksvollen Ereignisse zeigen, was gläubige Menschen mit Mut, Entschlossenheit und Gottvertrauen erreichen können. So wie damals sind auch heute Protagonisten (Vorkämpfer, zentrale Gestalten) gerufen, sich den Aufgaben und Problemen in Politik, Familie und Gesellschaft zu stellen. Gleiches gilt auch für jeden Christen, nach seinen Fähigkeiten und Charismen Zeugnis zu geben und sich für das Leben und die Würde des Menschen einzusetzen.

 

Quelle: Fatima-Weltapostolat U.L.F. in Deutschland e.V., Petersberg/Fulda

Frühlingsausgabe 2015