34. Zusammen mit dem Lamm hat sie sich selbst aufgeopfert

Der Anteil meiner Mutter am Geheimnis des Kreuzes ist ein einmaliges Geschehen in der Geschichte des Menschengeschlechtes und des Himmels.

Meine Mutter ist unter allen Frauen allein wahre Priesterin. Sie war gebildet in der Heiligen Schrift und überaus erleuchtet vom Heiligen Geist. Als sie die ttliche Mutterschaft annahm, war sie sich bewt über alles, was von ihr verlangt wurde.

Der greise Simeon hat ihr übrigens ohne beschönigende Worte erklärt: «Auch deine Seele wird...»

Meine Mutter bewahrte diese furchterregende Voraussage, die für sie klar und einsichtig war, in ihrem Herzen. Diese Prophezeiung war wie ein scharfes Schwert, das ihr Herz während des ganzen Lebens durchschnitt.

Meine Mutter war wahre Priesterin, nicht im allgemeinen Sinn, wie es in gewisser Weise alle Getauften und Gefirmten sind, auch nicht im Sinn des Amtes, sondern in einer verschiedenen und tieferen Art als jene, die das Sakrament der Weihe erhalten haben.

Meine Mutter war und ist Priesterin dadurch, daß sie auf der Höhe des Kalvarienberges dem Vater das reine, heilige Opfer dargebracht hat, das Lamm Gottes, ihren Sohn, und mit dem Opferlamm brachte sie sich selbst zum Opfer dar.

Sie ist wirklich ein Opfer für die Sünden.

Gegenwärtig, bewt und teilhabend erduldete sie nicht bloß das Geschehen, sondern wirkte zusammen mit ihrem ttlichen Sohn wesentlich mit am Erlösungswerk, in dem die Geschichte des Menschengeschlechtes gipfelt.

In dieser doppelten Opfergabe, die sich in jeder heiligen Messe erneuert, liegt das Geschehen, für das der Priester berufen ist. In der Tat, der Priester ist nie mehr Priester, als wenn er gemeinsam mit mir mich und sich selbst dem Vater zum Opfer darbringt.

Darum ist meine Mutter Miterlöserin.

Um dieses Opfer darbringen zu können, mte sie sich selbst ganz opfern. Das Opfer vernichtet sich; es wird verzehrt. So mte sie ihr heiliges, reines Mutterherz, das heiligste unter allen Müttern, vernichten und jedes Gefühl hinopfern. Sie mte und wollte ihr Fiat wiederholen. Wie ich und mit mir sagte sie: «Vater, nicht mein Wille geschehe, sondern der deine

Nur eine unbeschreibliche, unbegreifliche Liebe, eine Liebe über jedes menschliche Maß hinaus konnte sie befähigen, eine so große Tat zu vollbringen.

Meine Mutter hat als Priesterin Gott und den Menschen den größten Liebesbeweis erbracht, der darin bestand, nicht nur das eigene Leben hinzuopfern, sondern auch das Leben dessen, den sie am meisten liebte.

 

Furchterregende Überraschung

Die Menschen wissen wenig, und noch weniger denken sie über das wenige nach, das sie wissen.

Die Menschen und viele meiner Diener und geweihten Seelen geben sich keine Rechenschaft darüber, daß sich das Geheimnis des Kreuzes unaufhörlich erneuert. Ihr Glaube an die erhabene Wirklichkeit dieses Geheimnisses, das im heiligen Meßopfer fortdauert, ist schwach.

Die Priester bedenken nicht, daß ich in der geweihten Hostie gegenwärtig bin, gleichsam zusammen mit meiner Mutter auf Kalvaria, mit ihr, die sich mit mir dem Vater zum Opfer darbringt.

Überlege, mein Sohn, welche furchterregende Überraschung es für viele meiner Diener sein wird, wenn sie erkennen müssen, daß sie nur äußerlich an dem großen Geheimnis teilgenommen haben.

Denke über die Früchte nach, die verlorengehen, über so viele nicht geheiligten Seelen wegen der Blindheit so vieler meiner Diener! Denke nach über die unaufhörlichen Sakrilegien!

Meine Mutter ist und bleibt mit mir in vollkommener Vereinigung. In ihr haben sich große Dinge vollzogen.

Welches Vorbild ist meine Mutter für alle meine Priester! Wenn sich meine Priester aus der vollkommenen Vereinigung zwischen mir und meiner Mutter zur Nachahmung aneifern ließen, würden sie sich täglich um die gänzliche Vernichtung ihres eigenen Ichs bemühen.

Wer sich zusammen mit mir dem Vater darbringt und auf dem Weg des Kreuzes nachfolgt statt der Welt zu folgen, der erfährt, daß mein Joch ß und leicht ist. Dann wäre der Baum meiner Kirche mit reichsten Früchten beladen.

Mein Sohn, eine schreckliche Lawine wird die Welt zur Ruine machen. Selten bemerkt man, daß sich die Lawine in Bewegung setzt. Ihr Anfang ist unauffällig, nach und nach aber wächst sie an und wird unwiderstehlich. Schon hat sie ihren Lauf begonnen, doch die Menschen sehen in ihrer Blindheit das Verderben nicht, dem sie entgegengehen.

Die Warnung ist ergangen, vergeblich. Nur sehr wenige haben sie gehört; die meisten haben sie überhört. Was aber mein erbarmungsvolles Herz und das unbefleckte Herz meiner und eurer Mutter am meisten betrübt, ist die Tatsache, daß auch viele meiner Priester nicht auf die zahlreichen Mahnungen des Himmels gehört haben. Eine fürchterliche Verantwortung...

Beten, sühnen, opfern!

Es drängt, dies zu sagen; es drängt, dies zu tun! 28. Juli 1975